350 IV. Präsidium. Art. 17.
üben, weil sie dieses Hoheitsrecht — das ihnen von jeher zustand — nicht
auf das Reich übertragen haben. Der Vertreter des Reichs-Justizamts hat
sich für die von ihm vertretene Rechtsanschauung über die verfassungsmäßige
Stellung der Militärkontingente auf das Militär-Penfions-Gesetz v. 27. Jan.
1871 (N.G.Bl. S. 275) § 3 Schlußabsatz, 8§ 17, 26, 20 Abs. 3 in Ver-
bindung mit 8§ 25 berufen, wonach die Anerkennung der auf Grund dieses
Gesetzes erhobenen Ansprüche von Entscheidungen der Kontingentsbehörden
abhängt, ferner auf das Gesetz v. 25. Mai 1873 über die Rechtsverhältnisse
der zum dienstlichen Gebrauch einer Reichsverwaltung bestimmten Gegen-
stände R.G. Bl. S. 113 § 8 in Verbindung mit dem Ausschußberichte des
Bundesrats v. 20. Dez. 1872 zu diesem Paragraphen (Drucksachen des
Bundesrats von 1873 Nr. 22 S. 11), ferner auf den Beschluß des Kammer=
gerichts v. 17. März 1884 (Johow 1884 S. 147), durch den die hier ver-
tretene Ansicht über die verfassungsmäßige Stellung der Militärkontingente
für die Vertretung des Reichsfiskus auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichts-
barkeit anerkannt ist und auf eine Entscheidung des Reichsgerichts v.
9. März 1888 (Cs. Bd. 20 S. 148 — dgl. auch Bd. 24 S. 37), durch
den derselbe Standpunkt hinsichtlich der Legitimation des Reichs zur Prozeß-
führung vertreten ist. Auch ist nach den Ausführungen des Vertreters des
Reichs--Justizamts der gleichen Auffassung wiederholt vom Bundesrat, u. a.
im Bericht der vereinigten Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen und für
Justizwesen v. 28. Nov. 1874 (Drucksachen Nr. 160 S. 5) Ausdruck gegeben
worden. Derselbe Standpunkt ist später — ebenfalls in der Rechnungs-
kommission bei Erörterung derselben Frage — auch von dem damaligen
Staatssekretär des Reichsschatzamts Graf Posadowsky-Wehner vertreten
worden, der in der Kommissionsfitzung v. 7. Mai 1896 u. a. erklärte (Anl.
1895/1897 Bd. 3 Nr. 382 S. 1856):
„Nach dem geltenden Recht bildet zwar die gesamte Landmacht des
Reichs ein einheitliches Heer, das im Krieg und Frieden unter dem Be-
fehl des Kaisers steht, aber die Heeresverwaltung beruht nicht beim
Reich, sondern wird von den einzelnen Kontingenten geführt.“
Praktisch durchgeführt ist diese von der Reichsverwaltung vertretene
Ansicht u. a. dadurch, daß die preußischen Militärverwaltungsbehörden an-
gewiesen find, alle Verträge namens des Reichs-Militärfiskus abzuschließen.
Diese Verfügung ist in einer Denkschrift des Reichskanzlers erwähnt, die
im Arch. f.öff. Recht Bd. 4 S. 54 abgedruckt ist; vgl. Laband IV S. 340
Joöl in Hirth's Annalen 1888 S. 837 f. und v. Seydel S. 348 ff., die
anderer Ansicht find. Dagegen ist allgemein anerkannt, daß Bayern vermöge
der für diesen Bundesstaat geltenden besonderen Bestimmungen des Bayrischen
Bündnisvertrages v. 23. Nov. 1870 einen eigenen Militärfiskus bildet.
Bei den Kriegsministern der Kontingente bleibt also die militär-
technische wie die finanzielle Verwaltung ihres Kontingents und die volle
ministerielle Verantwortung dafür. Bezüglich der finanziellen Verwaltung
aber besteht eine Mitverantwortung des Reichskanzlers. Der Reichskanzler
ist daher in Ansehung des Militärwesens nicht auf das ihm nach Art. 17
R.V. gegenüber den Einzelstaaten verliehene Überwachungsrecht beschränkt,
das sich nur auf eine den Reichsgesetzen entsprechende Verwaltung beschränkt
und erst in Kraft tritt, wenn aus diesem Gesichtspunkt begründete Be-
denken gegen die höchsten Instanzen der Einzelstaaten entstehen, sondern der