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„Es hat nicht unsere Absicht sein können, ein theoretisches Ideal
einer Bundesverfafsung herzustellen, in welcher die Einheit Deutschlands
einerseits auf ewig verbürgt werde, auf der anderen Seite jeder parti-
kularistischen Regung die freie Bewegung gesichert bliebe. Einen solchen
Stein der Weisen, wenn er zu finden ist, zu entdecken, müssen wir der
Zukunft überlassen, einer solchen Quadratur des Zirkels um einige
Dezimalstellen näher zu rücken, ist nicht die Aufgabe der Gegenwart.
Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, in Erinnerung und in richtiger
Schätzung, glaube ich, derjenigen Widerstandskräfte, an welchen die
früheren Versuche in Frankfurt und Erfurt gescheitert sind, diese Wider-
standskräfte so wenig, als es irgend mit dem Zweck verträglich war,
herauszufordern. Wir haben es für unsere Aufgabe gehalten, ein Mini-
mum derjenigen Konzessionen zu finden, welche die Sonderexistenzen auf
deutschem Gebiet der Allgemeinheit machen müssen, wenn diese Allgemein-
heit lebensfähig werden soll.“
Daß auch in dem damaligen Reichstage selbst die Ansicht, die Reichs-
verfassung weise dem Reiche nur bestimmte und begrenzte Aufgaben zu und
überlasse den ganzen Rest den Einzelstaaten, geteilt wurde, geht aus folgenden
Außerungen von Abgeordneten hervor, die damals im Reichstage anerkannter-
maßen eine führende Rolle spielten:
Abg. Frh. v. Vincke (Hagen) in der Sitzung v. 21. März 1867
St. B. 297:
„Der Entwurf hat sich beschränken wollen auf zwei notwendige Rich-
tungen, einmal die politische Existenz des Norddeutschen Bundes nach
außen hin durch eine kräftige Kriegsmacht, durch die Fürsorge für die
Finanzen des Bundes — nach innen hin darin, daß er die wirtschaftliche
Freiheit, die wir solange in Deutschland vermißt haben, in den wichtigsten
Beziehungen wiederhergestellt hat."
Abg. v. Gerber in der Sitzung v. 26. März 1867 St. B. 362:
„Unser Entwurf hat nicht die Absicht, dem Bunde eine begrifflich ein-
heitliche, wenn auch immerhin beschränkte Staatsgewalt zuzuweisen,
sondern das Wirkungsgebiet, das demselben vergönnt wird, ist nichts
anderes als eine Aggregierung von Fragmenten. Allerdings sind diese
Fragmente sehr große und wichtige; sie sind die erheblichsten Dinge,
welche bei der Frage der Einigung, namentlich in bezug auf das Wehr-
system und die Verkehrsinteressen in Frage kommen; aber trotz dieser
Wichtigkeit und Bedeutung find sie doch nur vereinzelte Teile einer
Staatswirksamkeit oder Fragmente, wie ich mich auszudrücken erlaubte;
wenigstens würde die Wissenschaft sie so auffassen. Indem nun der
Entwurf nicht weiter geht, als gerade das praktische Bedürfnis der
Einigung will, stellt er sich durchaus auf einen realistischen Boden und
vermeidet jede abstrakte Allgemeinheit."
Wie hier zum Ausdruck gebracht ist, kann die Reichsverfassung vom
wissenschaftlichen Standpunkt aus nur als eine Zusammenstellung von ein-
zelnen Fragmenten einer Verfassungsurkunde angesehen werden. Aber dieser
Umstand wird verständlich durch die politischen Kämpfe, aus denen die
Reichsverfassung hervorgegangen ist. Es konnte nicht der Weg eingeschlagen
werden, der am Platze ist, wenn ein bisher unumschränkter Monarch seinem
Lande eine Verfassung gibt — die Einzelstaaten, aus denen das Reich