Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

352 IV. Präsidium. Art. 17. 
waltung hat zwar anerkannt, daß die Niederschlagungsordres auf die Reichs- 
finanzen Wirkung auslüben, sie ist aber nicht dem daraus vom Rechnungs- 
hofe gezogenen Schluß beigetreten, daß der Reichskanzler diese Ordres 
gegenzeichnen müsse. Nach dem Bericht der Rechnungskommission des Reichs- 
tags hat der damalige Staatssekretär des Reichsschatzamts Graf Posadowsky- 
Wehner in dieser Kommission am 7. Mai 1896 (die Frage war bis dahin 
in der Schwebe) — Anlagen 1895/1897 Bd. 3 Nr. 382 S. 1856ff. — 
unter Hinweis auf die Tatsache, daß die Heeresverwaltung von den Einzel- 
staaten, die noch ein eigenes Kontingent besitzen, geführt werde und daß 
die fraglichen Niederschlagungen in den Kreis der Armeeverwaltungsgeschäfte 
fallen, die Ansicht vertreten, daß Form und Wirkung dieser Kabinettsordres 
nur nach dem Staatsrecht der Einzelstaaten zu beurteilen sei; der Regierungs- 
vertreter hat ausdrücklich anerkannt, daß der Reichskanzler, da er für die 
gesamte Finanzgebahrung des Reichs verantwortlich sei, auch für die auf 
dem Gebiete sämtlicher Kontingentsverwaltungen ergehenden Niederschlagungs- 
ordres die Verantwortung trage, doch müsse sie nicht gerade durch die 
Gegenzeichnung zum Ausdruck gebracht werden; sie werde materiell dadurch 
gewährleistet, daß in jedem einzelnen Falle, in welchem eine Niederschlagung 
bei dem Kontingentsherrn nachgesucht werden soll, das Einverständnis des 
Reichskanzlers herbeigeführt werde, und sie trete formell dadurch in die Er- 
scheinung, daß die durch die Allerhöchsten Entschließungen justifizierten 
Posten in die vom Reichskanzler zur Entlastung vorzulegenden Rechnungen 
Aufnahme fänden. Im Anschluß an diese Verhandlungen ließ der damalige 
Reichskanzler Fürst Hohenlohe durch seinen Vertreter, den Staatssekretär 
des Reichsschatzamts in der Reichstagssitzung v. 15. Juni 1896 St. B. 2604 
erklären, daß er formell und materiell die Verantwortung für die Aller- 
höchsten Gnadenerlasse übernehme, die von dem Kontingentsherrn unter 
Gegenzeichnung des betreffenden Kriegsministers zu erlassen seien. Damit 
galt die Frage als erledigt, und für das praktische Bedürfnis genügt auch 
diese Lösung. Staatsrechtlich ist allerdings der Standpunkt der Reichs- 
verwaltung nicht ganz bedenkenfrei. Zuzugeben ist, daß die Armeever- 
waltung von den Kontingentsherren aus eigenem Recht, wenn auch für 
Rechnung und in Vertretung des Reichs geführt wird. Zuzugeben ist ferner, 
daß daraus sich als Schluß ergibt, daß Anordnungen auf dem Gebiete der 
Armeeverwaltung von dem Kriegsminister des betreffenden Kontingents 
gegenzuzeichnen sind. Richtig ist auch, daß neben dem Kriegsminister der 
Reichskanzler als Chef der Reichsfinanzen beteiligt ist, wenn die betreffende 
Anordnung finanzielle Wirkungen hat. Richtig ist endlich, daß das Recht 
des Königs und Kaisers zu derartigen Niederschlagungsordres nicht bestritten 
werden kann, weil es nicht nur zu den dem Monarchen durch die Ver- 
fassung nicht entzogenen Rechten gehört, sondern auch weil es positiv durch 
eine vieljährige konstitutionelle Praxis bestätigt ist. Dagegen können 
Zweifel darüber bestehen, ob die Verantwortung, die vom Reichskanzler zu 
tragen ist und die zu tragen er sich ausdrücklich bereit erklärt hat, and 
als durch Gegenzeichnung des Allerhöchsten Erlasses zum Ausdruck gebracht 
werden kann. Denn nach Art. 44 der preuß. Verf.Urk. muß die Verma- 
wortung für Königliche Erlasse durch Gegenzeichnung eines Ministers un 
nach Art. 17 R.V. muß die Verantwortung für Kaiserliche Erlafst " dn 
Gegenzeichnung des Reichskanzlers übernommen werden. Den Ausführungen
	        
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