354 IV. Präsidium. Art. 17.
sein. Denn ein Minister kann nur für die Gesetzmäßigkeit des Allerhöchsten
Erlasses juristisch veranwortlich sein. Die Begnadigung ist aber an gesetz-
liche Voraussetzungen überhaupt nicht gebunden, sondern ist Sache des
freien Willensentschlusses des Monarchen. Die Gründe dafür brauchen dem
Minister bez. dem Reichskanzler oder seinen Stellvertretern nicht bekannt
zu sein. Die Begnadigung ist von ihrem Vorschlage nicht abhängig. Der
Reichskanzler ist also de jure nicht in der Lage, über die Gründe, aus denen
eine Begnadigung erfolgt oder nicht erfolgt, irgendwelche Auskunft zu
geben. Was seine politische Verantwortung anbetrifft, so reicht sie zwar
so weit, als sein tatsächlicher Einfluß auf den Gnadenakt, aber dem Parla-
ment oder irgendwelchen anderen Stellen, an denen die öffentliche Meinung
sich geltend macht, darüber Rede zu stehen, wäre gleichbedeutend mit einer
Kundgebung der Gründe, die für den Willensentschluß des Monarchen maß-
gebend waren, und dies würde auf einen Eingriff in die Prärogative des
Monarchen hinauslaufen; vgl. die Erklärung des Staatssekretärs des Aus-
wärtigen Amts v. Tschirschky u. Bögendorff in der Reichstagssitzung v.
3. Dez. 1906.
In Ansehung der Ordensverleihungen ist zunächst zu berückfichtigen,
daß der Kaiser als solcher überhaupt nicht, sondern nur in seiner Eigen-
schaft als König von Preußen Orden verleiht, da es nicht Reichsorden,
sondern nur Orden der Bundesstaaten gibt. Selbstverständlich können aber
von den Monarchen der Bundesstaaten auch für Verdienste um das Reich
Orden verliehen werden. Selbst wenn dann unter solchen Gesichtspunkten
die Organe und die Politik des Reichs beteiligt sind, handelt es sich um
eine ausschließliche Prärogative des betreffenden Monarchen, für deren Aus-
übung die Angabe von Gründen oder irgendeine Auskunft unter Berufung
auf die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des Reichskanzlers nicht ver-
langt werden kann. Übrigens werden auch in Preußen Ordensverleihungen
nicht ministeriell gegengezeichnet.
f) Persönliche Außerungen des Kaisers.
Nach Art. 17 bedürfen „Anordnungen und Verfügungen“ des Kaisers
zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, der dadurch die Ver-
antwortlichkeit übernimmt. Durch diesen Wortlaut sind einfache Meinungs-
äußerungen des Kaisers nicht gedeckt. Der Reichskanzler trägt für sie
die juristische Verantwortung nicht, selbst wenn sie von großer politischer
Wichtigkeit sind und in ihnen ein ganzes Regierungsprogramm enthalten ist.
Denn man muß von Anordnungen und Verfügungen, durch die in die
gegebenen Verhältnisse unmittelbar handelnd eingegriffen wird, subjektive
Meinungsäußerungen des Kaisers unterscheiden, die ihren Charakter als
solche nicht verlieren, auch wenn sie Versprechungen für die Zukunft ent-
halten, also programmatischen Inhalts sind. Dem gegenteiligen Stand-
punkt, der auch im Reichstage vertreten worden ist, kann zugegeben werden,
daß eine gewisse logische Inkonsequenz darin zu finden ist, daß die ver-
fassungsmäßige Verantwortung des Reichskanzlers sich zwar auf jeden kaiser-
lichen Erlaß erstreckt, der sich im Sinne des Art. 17 als solcher darstellt,
auch wenn sein Inhalt verhältnismäßig unwichtig ist, dagegen nicht auf
Kundgebungen des Kaisers, die für die Reichspolitik von der größten Be-
deutung werden können. Aber es handelt sich dabei um eine Konsequenz