I. Bundesgebier. Art. 1. 29
zusammengesetzt ist, hatten damals bereits durchweg eine Verfassung —
sondern es handelte sich darum, in den damals für die Gründung des
Reichs maßgebenden Kräften eine Mittellinie zu finden, welche geeignet
war, die Grenze für die Machtverteilung zwischen dem Reich und den Einzel-
staaten und zwischen der Regierung des Reichs und der Volksvertretung zu
bilden. Diese Kräfte waren: der Großstaat Preußen, der darauf gefaßt
sein mußte, seine neue Großmachtstellung gegen feindliche Angriffe des Aus-
lands zu verteidigen und deshalb vor allem einer Erweiterung seiner mili-
tärischen Bafis bedurfte, die ihm dadurch zuteil geworden ist, daß ihm die
militärischen Kräfte des ganzen Deutschlands zur Verfügung gestellt und
daß namentlich die Möglichkeit einer Gegnerschaft im eigenen deutschen
Lager ausgeschlossen wurde — ferner die deutschen Mittel= und Kleinstaaten,
die, gestützt auf ihre Jahrhunderte alten historischen Rechte und auf lebhafte
Sympathien namentlich der breiten Volksschichten, einen erheblichen Anteil
an der Verwaltung der gemeinsamen deutschen Angelegenheiten begehrten,
besonders auch zur Verhütung zu weit gehender unitarischer Tendenzen —
und endlich die aus den gebildeten und besitzenden, damals allein politisch
interessierten Kreisen bestehenden großen politischen Parteien, die ebenfalls
einen weitgehenden Anteil an der Gesetzgebung und — wenigstens in der
Form der Geldbewilligung — auch an der Verwaltung des neuen Reichs
forderten. Auf die Erfüllung dieser Ansprüche ist die Ausgestaltung der
Reichsverfassung berechnet. Die Art und Weise, wie die Aufgabe gelöst
wurde, stellt der realpolitischen Befähigung der damaligen leitenden Staats-
männer ein ebenso glänzendes Zeugnis aus, als sie dem Schema der über-
lieferten staatsrechtlichen Begriffe widerspricht und deshalb dem Bedürfnis
der Wissenschaft, aus den Rechtssätzen der Reichsverfassung, wie aus allen
andern Erscheinungen des realen Lebens ein System zu bereiten, Schwierig=
keiten entgegenstellt.
Die Reichsverfassung befriedigte die Ansprüche der damals wirksamen
politischen Kräfte in der Weise, daß der Großstaat Preußen mit dem
Bundespräsidium die Führung des Reichs und namentlich in militärischer
Beziehung umfassende Rechte erhielt. Die Ansprüche der Mittel= und
Kleinstaaten wurden durch deren verhältnismäßig starke Vertretung im
Bundesrat und des letzteren sehr weitreichende Befugnisse gewahrt, und den
politischen Parteien des Bürgertums wurde durch die Schaffung des auf dem
allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht beruhenden Reichstages ein
enormes Zugeständnis gemacht (vgl. die Ausführungen des Abg. v. Sybel
in der Reichstagssitzung vom 23. März 1867 St. B. 325, dessen Gedanken-
gang in den letzten Ausführungen enthalten ist).
I. Bundesgebiet.
Artikel 1.
Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg,
Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin,
Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-
Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarz=