IV. Präsidium. Art. 17. 363
Art. 17 gleichwohl die juristische Verantwortung trägt. Der Inhalt und
der Umfang der juristischen Verantwortung des Reichskanzlers ist auch für
die kaiserlichen Erlasse nur nach den allgemeinen civil- und strafrechtlichen
Vorschriften zu bemessen; es findet z. B. § 839 B.G. B. Anwendung. Die
praktische Bedeutung dieser Vorschriften ist sehr gering, weil sie erst An-
wendung finden können, wenn die geltenden Gesetze verletzt werden, die
Zweckmäßigkeit der angewandten Maßregeln aber auf Grund solcher Vor-
schriften niemals angefochten werden kann. Doch ist es immerhin wesentlich,
daß für äußerste Fälle, gewissermaßen als letztes Sicherheitsventil, die
juristische Verantwortlichkeit des leitenden Staatsmannes für Verletzung des
Gesetzes auch bezüglich solcher Anordnungen statuiert ist, für die ein kaiserlicher
Erlaß zugrunde liegt. Darin ist ein im Sinne der konstitutionellen Idee
beruhigend wirkendes Zugeständnis zu finden, dessen wahrer Wert mehr in seiner
Existenz als in seinen praktischen Konsequenzen liegt; vgl. die Ausführungen
des Abg. Lasker in der Sitzung des konst. Reichstags v. 26. März 1867
St.B. 365.
Tc) Die öffentliche Meinung.
Je geringer die praktische Bedeutung der juristischen Verantwortlichkeit
ist, desto größer ist die der öffentlichen Meinung. Der geordnete Instanzenzug,
der für die Entscheidungen der ordentlichen Gerichte wie für die der Ver-
waltungsgerichte eingesetzt ist, läßt schwere Verstöße gegen das geltende Recht
bei den höchsten Verwaltungsinstanzen kaum noch möglich erscheinen, selbst-
wenn man damit rechnen wollte, daß eine Neigung dazu in geregelten
Staatsverhältnissen denkbar sei, und überdies hängen in dem den leitenden
Staatsmännern zur selbständigen Erledigung vorbehaltenen Ressort die
meisten wichtigeren Entscheidungen nicht von Erwägungen der formalen
Gesetzmäßigkeit, die in der Regel außer Frage steht, sondern von Erwägungen
der Zweckmäßigkeit ab. Die öffentliche Meinung macht aber die leitenden
Staatsmänner auch für die Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidungen sowie über-
haupt dafür verantwortlich, daß alles geschieht, was im einzelnen Falle,
wie in der Verfolgung des ganzen, für die Staatspolitik maßgebenden Kurses
zum Wohle des Landes geschehen kann. Fürst Bismarck hat diese auf
keinem geschriebenen Recht, aber auf harten Tatsachen beruhende Macht
der öffentlichen Meinung anerkannt; vgl. seine Erklärung in der Reichs-
tagssitzung v. 13. März 1877 St. B. 126.
Selbstverständlich hängt im Reiche wie in den Einzelstaaten die An-
stellung und Entlafsung der leitenden Staatsmänner lediglich von dem
freien Willensentschluß des Monarchen ab, aber das Amt des Kanzlers
ist ein Vertrauensposten auch dem Volke gegenüber, und die öffentliche
Meinung weiß dies zur Geltung zu bringen. Man hat damit gerechnet, als
das Amt des Kanzlers geschaffen wurde, wie insbesondere aus Außerungen
der Abg. v. Sybel und Planck, Sitzungen des konst. Reichstags v. 23. und
26. März 1867 St. B. 327 und 359 hervorgeht; der Inhalt dieser Er-
klärungen ist allerdings vorbehaltlos nur so weit anzuerkennen, als sie zum
Ausdruck bringen, daß man sich von vornherein darüber klar war, daß
der Reichskanzler, um seine Aufgabe, ein Bindeglied zwischen Krone und
Volksvertretung zu sein, ganz zu erfüllen, der Vertrauensmann beider sein
muß. Im übrigen find die Aäußerungen bemerkenswert als Kundgebung
dafür, welches Gewicht dem Prinzip der Verantwortlichkeit, auch ohne