IV. Präfidium. Art. 17. 371
Autrag der Regierungen von Sachsen und Württemberg zur Abwehr der
im Reichstag neu hervorgetretenen, auf die Einrichtung eines kollegialen
Reichsministeriums gerichteten Tendenz i. J. 1884 der Bundesrat nochmals
förmlich Stellung zu der Frage nahm, begründete Preußen, das in der
Plenarsitzung des Bundesrats v. 5. April 1884 (Hirth's Annalen 1886
S. 350 ff.) sich förmlich und bindend gegen das Reichsministerium aussprach,
seinen ablehnenden Standpunkt u. a. damit, daß ein Reichsministerium durch
die Art der ihm auferlegten Verantwortlichkeit dem Einflusse der jedes-
maligen Majorität des Reichstags unterliegen müßte. Der Standpunkt,
daß ein Minister-Kollegium in höherem Maße von der Parlamentsmehrheit
abhängig sei, als es der Reichskanzler allein ist, dürfte daraus zu erklären
sein, daß letzterer, wie anzunehmen ist, für seine Person an die Krone
festeren Anschluß hat als eine Reihe von einzelnen Ministern. Der Auf-
teilung der Kompetenz des Reichskanzlers unter ein kollegial organisiertes
Reichsministerium steht also die Besorgnis entgegen, daß dadurch die
Stellung der Reichsverwaltung, d. h. der Exekutivgewalt des Kaisers gegenüber
dem Bundesrat und vor allem gegenüber dem Reichstag geschwächt werden
würde. Daraus ergibt sich zugleich, daß in diesem Punkte eine Parallele
mit Preußen oder anderen Einzelstaaten, deren Regierung aus mehreren
Ministern besteht, nicht gerechtfertigt ist, weil im Reich durch die Konkurrenz
des Bundesrats und durch die Existenz des aus allgemeinen, gleichen und
geheimen Wahlen hervorgegangenen Reichstags Faktoren gegeben sind, die
in den Einzelstaaten fehlen. Andererseits ist die konstitutionelle Garantie
dadurch nicht vermindert, daß die Verantwortlichkeit in einer Hand ver-
einigt ist; denn die Bedenken, daß wegen des enormen Umfangs der Ge-
schäfte die Verantwortung von einem einzigen nicht übernommen werden
könne, find durch das Stellvertretungsgesetz beseitigt worden, das dem Reichs-
kanzler gestattet, die Last, die er bis dahin zur ausschließlichen übernahme
der Verantwortung allein tragen mußte, auf mehrere Schultern zu verteilen.
Alles dies gilt nur für die Exekutivgewalt des Kaisers, also für das eigene
Ressort des Reichskanzlers. In der Zuständigkeit des Bundesrats hat sich
seit der Begründung des Reichs nichts geändert; seine Kompetenz auf ein
Reichsministerium zu übertragen, ist von den Verbündeten Regierungen.
stets, insbesondere auch vom Fürsten Bismarck abgelehnt worden. Schon
im konst. Reichstage hatte Fürst Bismarck es als eine conditio sine qua non
bezeichnet, daß die nach dem Entwurf der Verfassung dem Bundesrat vor-
behaltenen Rechte nicht durch die Einsetzung eines die ganze Exekutivgewalt
umfassenden Reichsministeriums angetastet würden. In diesem Standpunkt
liegt also eine Voraussetzung, unter der das Reich zustande gekommen ist
und auf der es noch jetzt beruht; Fürst Bismarck führte in der Sitzung
v. 11. März 1867 St. B. 136 mit Recht aus, daß es ebensowenig angängig
sei, die Ernennung eines solchen Ministeriums von der Kooperation der
Regierungen sämtlicher Einzelstaaten abhängig zu machen als etwa die Er-
nennung nur einer Regierung zu übertragen und damit alle anderen
Regierungen von der Mitwirkung bei der Exekutive überhaupt auszuschließen;
val. ferner die Ausführungen des Fürsten Bismarck in den Reichstagssitzungen
v. 26. und 27. März 1867 St. B. 377 und 388, v. 16. April 1869 St. B. 401,
v. 10. März 1877 St. B. 72. Bei der Beratung des Stellvertretungsgesetzes
gaben in der Reichtagssitzung v. 5. März 1878 St. B. 326 und 335 der
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