372 IV. Präsidium. Art. 17.
bayerische Staatsminister v. Pfretzschner und der württembergische Staats-
minister v. Mittnacht die Erklärung ab, daß die bayrische bez. württem-
bergische Staatsregierung in der Einführung eines Reichsministeriums eine
Schmälerung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrats und der Einzel-
staaten sehen würde. Eine Absage in ganz absoluter Form gegenüber dem
Plane der Einrichtung eines Reichsministeriums gab die preußische Regierung
in der Bundesratssitzung v. 5. April 1884 (Hirth's Annalen 1886 S. 350 ff.)
kund; sie erklärte, daß die Einrichtung verantwortlicher Ministerien im
Reich nicht anders als auf Kosten der Summe von vertragsmäßigen Rechten
möglich sei, welche die Verbündeten Regierungen gegenwärtig im Bundesrat
ausübten, und daß die wesentlichsten Regierungsrechte der Bundesstaaten
von einem Reichsministerium absorbiert werden würden. Der Bundesrat
schloß sich einstimmig dieser Erklärung an. In der Erklärung kommt der
auch sonst oft zutage tretende Standpunkt der Verbündeten Regierungen
zum Ausdruck, daß gewisse Grundlagen der Verfassung ungeachtet der
theoretisch bestehenden Möglichkeit einer Abänderung im Wege eines gemäß
Art. 78 R.V. zustande gekommenen Reichsgesetzes ein vertragsmäßiges Element
unter den Verbündeten Regierungen darstellen, dessen Aufhebung gegen Treu
und Glauben der die Gründung des Reichs stützenden Verträge verstoßen
würde. Die Verbündeten Regierungen gehen von der Grundanschauung
aus, daß in ihrem Verhältnis zueinander die Verträge noch fortleben,
ungeachtet dessen, daß dies in dem Wortlaut der Verfassung, wenn man
von dem Eingang abfieht, keinen Ausdruck gefunden hat; sie halten sich an
die Aufrechterhaltung der Verfassung in den Punkten, die für ihren Zu-
sammenschluß bei der Gründung des Reichs wesentlich waren, unter dem
Gesichtspunkt der Vertragstreue gebunden, und da gegen ihren Willen keine
Verfassungsänderung zustande kommen kann, so reicht dieser Standpunkt für
alle praktischen Möglichkeiten im Sinne der Konservierung des bestehenden
Verfassungsrechts vollkommen aus (voal. Eingang l S. 9 ff.).
IX. Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers im Verhältnis zu dem
Wirkungskreis anderer Behörden und Reichsorgane.
Der Reichskanzler bedarf zur Bewältigung seines umfangreichen Geschäfts-
kreises eines großen Stabes von Mitarbeitern, die ihm unterstellt und von
seinen Weisungen abhängig find. Die besondere staatsrechtliche Stellung,
welche die als Stellvertreter des Reichskanzlers verantwortlichen Chefs der
obersten Reichsämter einnehmen, bleibt hier zunächst außer Betracht. Es
gilt auch abgesehen von ihnen die Regel, daß der Reichskanzler für positive
Erklärungen und Handlungen nur verantwortlich ist, soweit sie namens, in
Vollmacht und in Stellvertretung des Reichskanzlers abgegeben sind. Bei
tatsächlichen Amordnungen, Verträgen u. dergl. wird die Frage der Vollmacht
durch die Dienstpragmatik in der Regel zweifelsfrei geordnet sein. Zu Bedenken
können aber vielleicht die Erklärungen Veranlassung geben, die von Regierungs-
vertretern bei Verhandlungen im Bundesrat oder Reichstag abgegeben
werden; dabei kann es unter Umständen zweifelhaft sein, ob es sich um wirk-
liche Zusagen handelt, für die der Reichskanzler einsteht oder um objektive
Deduktionen, die durch das Verlangen des Parlaments nach tatsächlicher
oder rechtlicher Aufklärung veranlaßt werden und die für die Reichsverwaltung