Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 17. 373 
die Freiheit belassen und bezwecken, sich je nach Umständen wieder zu de- 
gagieren und das letzte Wort vorzubehalten. Es wird daran nichts geändert, 
wenn die Zentralstellen selbst den einen oder anderen Kommissar beauftragt 
haben, solche objektiven Deduktionen vorzutragen, z. B. in der Absicht, dadurch 
Aufklärung zu verbreiten; gebunden ist die Reichsverwaltung nur, wenn 
und soweit fie Vollmacht gegeben hat, für sie eine bindende Erklärung ab- 
zugeben; natürlich bleibt es die Aufgabe der Reichsverwaltung, wenn durch 
Mißverständnisse doch der Anschein einer Bindung hervorgerufen wird in 
Fällen, in denen sie nicht beabsichtigt war, für die alsbaldige Berichtigung 
der irregeleiteten öffentlichen Meinung Sorge zu tragen. Auf Fälle, in 
denen die Reichsverwaltung zum Zwecke der Aufklärung sprechen läßt, ohne 
sich vorläufig binden zu wollen, können die allerdings allgemein gehaltenen 
und deshalb einen noch weiteren Kreis von Möglichkeiten umfassenden Aus- 
führungen des Fürsten Bismarck aus der Reichstagssitzung v. 1. Dez. 1874 
St. B. 421 bezogen werden. 
Soweit es sich um Maßregeln und Erklärungen handelt, durch welche 
die Reichsverwaltung gebunden sein will und gebunden wird, die aber in 
den Bereich der Einzelheiten des laufenden Geschäftsgangs gehören und 
nicht von besonderer Bedeutung find, kann der Reichskanzler der Natur 
der Sache nach nur für die größtmögliche Sorgfalt bei der Auswahl der 
Personen, also nur dafür verantwortlich gemacht werden, daß im allgemeinen 
die richtigen Leute an der richtigen Stelle stehen. Selbstverständlich erstreckt 
sich diese Verantwortung unmittelbar nur auf die dem Reichskanzler zu- 
nächst stehenden obersten Beamtenstellen, während letztere wieder die ent- 
sprechende Verantwortung für die Besetzung der ihnen untergebenen Stellen 
tragen und so fort; vgl. Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung v. 
1. Dez. 1874 St. B. 421. Ebenso wie für die Auswahl der ihm zunächst 
stehenden Personen ist der Kanzler dafür verantwortlich, daß diese Personen 
die von ihm angegebene Richtung der Reichspolitik innehalten. Da der 
Reichskanzler berechtigt ist, verfügend einzugreifen, macht er sich verant- 
wortlich, wenn er es unterläßt, von der ihm zustehenden Befugnis Gebrauch 
zu machen. 
Welcher Hülfskräfte sich der Reichskanzler bei der Erfüllung seiner 
Aufgaben bedienen soll und darf, ist nicht vorgeschrieben; eine verfassungs- 
mäßige Schranke besteht in dieser Beziehung nicht. Die vorhandene 
Behördenorganisation und die Gesetzgebung über ihre Zuständigkeit läßt es 
im allgemeinen nicht zu, daß Hoheitsrechte des Reichs außerhalb dieser 
Behörden wahrgenommen werden, dagegen kann der Reichskanzler zur Auf- 
klärung von Tatsachen und zu ihrer sachverständigen Beurteilung Hülfs- 
kräfte heranziehen, wann und wo er will, insbesondere für schwebende 
Gesetzesvorlagen. Im Reichstage wurde dies mit Unrecht bestritten, als 
bei der Steuer= und Zollreform im Jahre 1881 der preußische Volkswirt- 
schaftsrat ins Leben gerufen wurde. Der Reichstag hat verfassungsgemäß 
einen Anspruch nur darauf, daß ihm die Entscheidung über die Gesetz- 
entwürfe nicht genommen wird. In welcher Weise die Reichsverwaltung 
für die Vorbereitung der Gesetzesvorlagen, sei es auch unter Heranziehung 
der öffentlichen Meinung und öffentlichen Kritik und irgendwelcher Inter- 
essentenverbände oder ad hoc geschaffener Organisationen Sorge tragen will, 
noch ehe sie den Gesetzentwurf dem Reichstag vorlegt, ist lediglich Sache
	        
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