Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

374 IV. Präsidium. Art. 17. 
der Reichsverwaltung. Fürst Bismarck hat sich hierüber in seinem Votum 
an das preußische Staatsministerium in Angelegenheiten des preußischen 
Volkswirtschaftsrates v. 9. Nov. 1880 (v. Poschinger Aktenstücke II S. 28) 
näher geäußert. 
X. Die Stellvertretung des Reichskanzlers. 
a) Generalstellvertreter. 
Unter dem „Generalstellvertreter“ des Reichskanzlers versteht man nach 
#s2 des Stellvertretungsgesetzes einen Stellvertreter, der „allgemein für den 
gesamten Umfang der Geschäfte und Obliegenheiten des Reichskanzlers 
ernannt wird“. Zu den Geschäften und Obliegenheiten des Reichskanzlers 
gehört der Vorsitz im Bundesrat. Die Generalstellvertretung bezieht sich 
daher auch auf die Geschäfte des Reichskanzlers im Bundesrat; val. Art. 15 
8 1 S. 323 f. Zur Frage der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für 
seinen Generalstellvertreter bestimmt 8 3 des Stellvertretungsgesetzes, daß 
dem Reichskanzler vorbehalten ist, jede Amtshandlung auch während der 
Dauer einer Stellvertretung selbst vorzunehmen. In den Motiven des 
Gesetzes ist hierzu bemerkt, daß dabei besonders an die Wahrnehmung der 
Aufsichtsrechte des Reichs gegenüber den Einzelstaaten gedacht ist, deren Aus- 
übung jederzeit dem Reichskanzler selbst oder seinem Gesamtvertreter offen 
gehalten bleiben soll. Der Fall ist wohl besonders hervorgehoben, weil 
gerade diese Befugnis des Reichskanzlers leicht eine Divergenz der Ansichten 
an Stellen hervorrufen kann, auf deren Schonung die Reichsverwaltung das 
größte Gewicht legt und weil wohl damit gerechnet worden ist, daß die 
Empfindlichkeit nicht so leicht rege wird, wenn der Reichskanzler selbst 
diese Befugnis ausübt. Doch ist keineswegs der im § 3 für den Reichs- 
kanzler gemachte Vorbehalt durch diesen Fall erschöpft. Der Reichskanzler 
kann vielmehr auf Grund des § 3 in jedes beliebige Geschäft eingreifen. 
Wie Fürst Bismarck in seiner Reichstagsrede v. 5. März 1878 ausgeführt 
hat, lag der Bestimmung die Erwägung zugrunde, daß der Reichskanzler 
auch im Falle einer Stellvertretung die allgemeine moralische und politische 
Verantwortung für die Gesamtrichtung der Reichspolitik behält und daß 
ihm deshalb nach dem Vorgange des englischen — nicht des preußischen 
— Minnister-Präsidenten ein Vetorecht gewahrt bleiben müsse. „Diesem 
Gedanken gibt — wie Fürst Bismarck bemerkte — der 8 3 Ausdruck neben 
dem, daß vielleicht die übrigen Bundesstaaten das Recht nicht aufgeben 
wollen, sich an den Kanzler auch im Fall der Vertretung mit ihrer Forde- 
rung halten zu können.“ In diesem Satze dürfte eine Anspielung auf das 
oben erwähnte imponderabile Moment liegen, daß für manche Fälle, in 
denen die persönliche Autorität eine besonders große Rolle spielt und durch 
die amtliche nicht voll ersetzt werden kann, das persönliche Eingreifen des 
Reichskanzlers schon aus diesem Grunde eine Notwendigkeit bleiben wird. 
b) Spezialstellvertreter. 
Nach § 2 des Stellvertretungsgesetzes können für diejenigen einzelnen 
Amtszweige, die sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des 
Reichs befinden, die Vorstände der obersten Reichsbehörden mit der Stell- 
vertretung des Reichskanzlers im ganzen Umfang oder in einzelnen Teilen
	        
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