AM BRANDENBURGER TOR 309
gegen die humanistische, die wahre und echte Bildung habe ich immer
eine der Hauptgefahren der Sozialdemokratie gerade für Deutschland
erblickt. Ihren prägnanten Ausdruck fand diese Antipathie in einem
Artikel, den einige Jahre nach dem Umsturz der „Vorwärts“ brachte und
der in dem Satz gipfelte: „Der Geist von August Bebel verträgt sich nicht
mit dem Geist von Julius Cäsar.‘ Im Anschluß hieran wurde im sozial-
demokratischen Zentralorgan zunächst die Einschränkung, dann die Be-
seitigung des Unterrichts in den klassischen Sprachen und damit eine all-
mähliche Aufhebung der humanistischen Gymnasien gefordert. Nichts ist
übrigens richtiger, als daß sich der Geist von August Bebel nicht mit dem
Geist von Julius Cäsar vertrage. Ich gehe weiter und glaube, daß der Geist
von Perikles sich kaum mit dem Geist von Philipp Scheidemann verträgt,
daß Plato und Gustav Bauer, Joseph Wirth und Publius Cornelius
Scipio, Africanus major, Ledebour und Virgil, der Genosse Zubeil und
Thucydides sich schwerlich verstanden haben würden.
Ich habe schon hervorgehoben, daß, wenn die deutsche Revolution wie
die aus ihr hervorgegangene Republik die charakteristischen Merkmale
philiströsen Spießbürgertums trug, insbesondere in ihren Führern den
Charakter vollendeter Mittelmäßigkeit, es dafür wenigstens in Berlin nicht
zu schlimmeren Exzessen kam. Ich selbst fand mehr als eine Gelegenheit,
die Harmlosigkeit der Bewegung und die Gutmütigkeit des Berliners zu
beobachten. Ich unternahm täglich ausgedehnte Spaziergänge in allen
Stadtteilen, ohne, obwohl ziemlich bekannt, jemals behelligt zu werden.
Ich erinnere mich nur eines Zwischenfalles, der zu einer Friktion hätte
führen können. Als ich, von einem längeren Spaziergang nach Charlotten-
burg zurückkehrend, gerade im Begriff war, die Straße zu überschreiten,
um durch das Brandenburger Tor zu den Linden zu gelangen, wies ein
großer, breitschultriger Mann mit wenig einladendem Gesichtsausdruck auf
mich hin und schrie mit lauter Stimme: „Das ist ja der Fürst Bülow! Er
wagt es, sich nach dem Sieg desVolkes auf der Straße zu zeigen ?!“ Ich setzte
meinen Weg ruhig fort und drehte mich nicht um, bis ich die Linden er-
reicht hatte. Inzwischen war mein Freund verschwunden. Ich habe den-
selben Menschen einige Wochen später wiedergesehen, vor dem Hotel Eden,
unter anderen Verhältnissen. Er war gefesselt und wurde von Soldaten in
das Hotel gebracht, wo das Kriegsgericht der Gardekavallerie-Division
tagte. Er warf mir einen nicht gerade freundlichen Blick zu, in dem, wie
ich anerkenne, keine Angst, nur Trotz lag. Als ich nach seinem Namen frug,
hörte ich, daß er ein Kommunist sei, der Jogisches heiße. Er soll am näch-
sten Tage bei einem Fluchtversuch erschossen worden sein.
Vielfach waren es unreife, jugendliche Elemente, die in Berlin der Ent-
wicklung der ersten Monate das Gepräge gaben. Ale wir noch im Hotel
Auf
den Straßen
Berlins