412 V. Reichstag. Art. 21.
Daraus geht hervor, daß ohne Gesetz die Abgeordnetenzahl nicht vermehrt
wird, auch wenn die Seelenzahl der Bevölkerung steigt.
Dagegen find Anderungen, welche die Wahlfähigkeit einschränken, die
direkte Wahl oder die geheime Abstimmung aufheben, weder durch Art. 20
noch durch das Wahlgesetz vorbehalten, und eine Abänderung des Wahl-
gesetzes nach dieser Richtung müßte gegenüber der Vorschrift des Art. 20
als Verfassungsänderung aufgefaßt werden.
Artikel 21.
Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag.
Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder
in einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs-
oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder
ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem
Reichstag und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder
erlangen.
I. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag.
II. Die Kosten der Stellvertretung.
III. Die zeitliche Dauer des Rechts.
IV. Der Begriff des Beamten im Sinne des Art. 21 Abf. 1.
V. Der Begriff des Beamten im Sinne des Art. 21 Abf. 2.
VI. Eintritt in den Reichs- und Staatsdienst und Beförderung.
VII. Sonstige Gründe für den Verlust der Reichstagsmitgliedschaft.
I. Beamten bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag.
Der Regierungsentwurf der Reichsverfassung enthielt im Art. 21 die
Bestimmung, daß Beamte im Dienste eines Bundesstaats nicht wählbar
seien. Fürst Bismarck begründete die Vorschrift in der Reichstagssitzung
v. 28. März 1867 St. B. 429 damit, daß eine Lockerung der Disziplin zu
befürchten sei, wenn die Möglichkeit zugelassen würde, daß den die Regie-
rung repräsentierenden Ministern die ihnen untergebenen Beamten als
Abgeordnete in oppositioneller Haltung entgegentreten könnten. Die Be-
stimmung wurde vom Reichstag abgelehnt, und auf Antrag der Abg. Graf
Henckel v. Donnersmarck und v. Unruh die dem Art. 78 Abs. 2 der preußi-
schen Verfassungsurkunde entsprechende Vorschrift angenommen, daß Beamte
keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag bedürfen — St.B. 437 und
Anlagen Nr. 17 II 2 S. 42. Die in den Reichtag gewählten Beamten
bedürfen also nicht nur zur Annahme der Wahl keiner Erlaubnis ihrer
vorgesetzten Behörde, sondern sie können auch zum Eintritt in den Reichs-
tag ihre Dienstgeschäfte eigenmächtig aufgeben, und es ist auf die Anzeige,
daß dies geschehe, Sache der vorgesetzten Behörden mit der Tatsache zu
rechnen, daß der Beamte für den Zeitraum, in welchem die Reichstags-
sitzungen staatfinden, seinen Dienst nicht erfüllen und, wenn der Beamte
nicht gerade in Berlin angestellt ist, daß er für den gleichen Zeitraum am
Orte seines Amtssitzes nicht anwesend sein wird. Damit ist freilich über
die Kosten der Stellvertretung noch nichts bestimmt; ebenso Laband 1
S. 311, v. Rönne 1 S. 245, v. Seydel S. 197.