418 V. Reichstag. Art. 22.
fällt. Bezüglich des vierten, im § 3 genannten Falls, der Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte ist durch § 33 St.G.B. ausdrücklich der Verlust
des Mandats bestimmt. Man könnte vielleicht daraus schließen, daß für
die anderen drei Fälle nicht dasselbe gilt, weil es für sie an einer aus-
drücklichen Bestimmung der Reichsgesetzgebung fehlt, aber überwiegende
Gründe der Zweckmäßigkeit sowie des politischen Gefühls sprechen dafür,
das Mandat, dessen inneren Grund das fortdauernde Vertrauen der Wähler
bildet, dem Abgeordneten nicht zu belassen, wenn in seiner Person ein
Fall eingetreten ist, der, wenn er sich früher ereignet hätte oder früher
bekannt geworden wäre, seine Wählbarkeit ausgeschlossen hätte — ebenso im
Ergebnis Laband ! S. 816, Arndt S. 127, v. Seydel in Hirth's Annalen
1880 S. 397, Sasse in d. D.Jur. Zeit. 1900 S. 134f. — Dagegen die
Geschäftsordnungskommission des Reichstags, Bericht v. 25. Jan. 1900,
Anlagen der 10. Leg.-Per. Bd. 5 S. 3354 Nr. 543, Baucke in Hirth's
Annalen 1900 S. 401, Guttmann in der D. Jur. Zeit. 1900 S. 41.
Auch über diese Fragen hat auf Grund des Art. 27 nur der Reichstag
zu entscheiden.
Artikel 22.
Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich.
Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen
Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
A. Die Offentlichkeit der Verhandlungen.
I. Der Begriff der Verhandlungen.
II. Der Begriff der Offentlichkeit.
III. Geheime Sitzungen des Reichstags.
IV. Die Folgen eines Verstoßes gegen die Offentlichkeit.
B. Die Straflosigkeit wahrheitsgetreuer Berichte.
I. Berichte im Sinne dieser Bestimmung.
II. Wahrheitsgetreue Berichte.
III. Der Begriff der Verhandlung im Sinne des Abst. 2.
IV. Die Folgen der Unverantwortlichkeit.
A. Uie Offentlichkeit der Verhandlungen.
I. Der Begriff der Verhandlungen.
Unter „Verhandlungen“ im Sinne des Abs. 1 find nur die Plenar-
verhandlungen, nicht die Kommissionssitzungen zu verstehen. Die letzteren
find geheim. Nur Reichstagsmitglieder dürfen an ihnen teilnehmen, falls
nicht auch für die Abgeordneten, die nicht Mitglieder der Kommission
find, die Anwesenheit gemäß § 27 Abs. 5 der G.O. des Reichstags durch
Plenarbeschluß ausgeschlossen ist. Es ist allseitig anerkannt, daß in der
Nichtöffentlichkeit der Kommissionssitzungen kein Widerspruch zu Art. 22 liegt,
weil Art. 22 nach seinem Wortlaut nicht notwendig auf andere Ver-
handlungen als die des Reichstags in seiner Totalität bezogen zu werden
braucht; ebenso v. Seydel S. 198, Arndt S. 137, Perels im Arch. f.öff. Recht.
Bd. 15 S. 548.