Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

V. Reichstag. Art. 23. 433 
einbar sein; ebenso v. Rönne 1 S. 187. Die letzteren beiden Kategorien von 
Petitionen gehören daher zu denjenigen, die als zur Erörterung im Plenum 
ungeeignet bezeichnet werden. Der Reichstag hat ferner keine Veranlassung, 
sich mit Petitionen zu befassen, die nicht in seiner Geschäftssprache ab- 
gefaßt find; das preuß. Abgeordnetenhaus hat unter diesem Gesichtspunkt 
beschlossen, daß Petitionen in polnischer Sprache nicht zu berückfichtigen 
seien; St. B. v. 11. Okt. 1862 S. 2227 ff., v. Rönne 1 S. 186 A. 4c. 
Unter Petitionen find Beschwerden aller Art inbegriffen. Bei dem 
Mangel einer gegenteiligen Bestimmung der Reichsverfassung kann kein 
sachliches Bedenken dagegen bestehen, daß Eingaben, die zwar keinen aus- 
drücklichen Antrag, aber Ausführungen enthalten, die der Reichstag als 
bedeutungsvoll ansieht, dem Reichskanzler zur Kenntnis überwiesen werden. 
II. Die Stellung des Bundesrats und Reichskanzlers 
zu den Petitionen. 
Art. 23 gewinnt mit seinem auf die Petitionen bezüglichen Inhalt 
nur dann einen befriedigenden Sinn, wenn man aus dem Recht des Reichs- 
tags, den Regierungsorganen Petitionen zu überweisen, den Schluß zieht, 
daß der Bundesrat und der Reichskanzler die staatsrechtliche Pflicht haben, 
die Petitionen und die Vorschläge des Reichstags zu beachten und zum 
Gegenstande ihrer Erwägung zu machen. Dagegen kann eine Verpflichtung 
der Regierungsorgane, ausdrücklich zu den Petitionen durch einen Bescheid 
Stellung zu nehmen oder gar sich der Auffassung des Reichstags anzuschließen, 
weder aus dem Geiste der Verfassung noch aus irgendeiner positiven Be- 
stimmung gefolgert werden. Die Verbündeten Regierungen haben es übrigens 
nach dem zu A lll S. 428 angeführten Schreiben des Reichskanzlers v. 
14. März 1873 freiwillig übernommen, dem Reichstage in gleicher Weise 
wie über ihre Stellung zu den Initiativanträgen des Reichstags auch wegen 
ihrer Entschließungen auf die überwiesenen Petitionen spätestens bei dem 
Beginn jeder Session von den Beschlüssen Kenntnis zu geben, die in der 
vorausgegangenen Sitzungsperiode gefaßt worden sind. Darin ist keine 
Zusage enthalten, daß die Entschließungen noch in der laufenden Sitzungs- 
periode gefaßt werden und daß sie stets zu der Petition sachlich Stellung 
nehmen. Vielmehr können Bundesrat und Reichskanzler die zur Berück- 
sichtigung überwiesenen Petitionen, ohne auf die Sache selbst einzugehen, 
aus formalen Gründen zurückweisen; vgl. v. Seydel S. 203, v. Rönne 1 
S. 186 f., Arndt S. 146, Wagner a. a. O. S. 133. 
Die Frage, welchen Wert es haben kann, sich petitionierend an ein 
Organ zu wenden, das seinerseits nichts anderes tun kann, als die Petition 
mit oder ohne Befürwortung — die aber stets unverbindlich ist — an die 
Regierung weiterzugeben, wird von Bornhak Arch. f. öff. Recht Bd. 16 
S. 422 sehr richtig dahin beantwortet, daß es der in der Volksvertretung 
verkörperte Druck der öffentlichen Meinung ist, der bei der Befürwortung 
der Petition in den Dienst des Petenten gestellt wird. Dazu kommt 
noch die Autorität, die dem Reichstag als einem Faktor der Gesetzgebung 
innewohnt; vgl. Arndt S. 146. Aber beide Momente gehören in das Ge- 
biet der politischen Imponderabilien; es läßt sich weder bestimmt ausdrücken, 
wieviel sie im allgemeinen, noch wieviel sie im einzelnen Fall bedeuten. 
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 28
	        
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