V. Reichstag. Art. 23. 439
gebenden Kompetenz, sondern in das der Exekutivgewalt der Regierungs-
organe fallen, zur Erörterung zu bringen, und zwar mit der Tendenz der
Kritik. Ein weiteres Feld für diesen Teil seiner Wirksamkeit ergibt sich
daraus, daß die Reichsverwaltung dem Reichstag über die Ausführung
gewisser Reichsgesetze periodisch Verwaltungsberichte vorlegt, die dem Reichs-
tag gestatten, sich ein Urteil über die sich hierauf erstreckende Tätigkeit und
über die Wirkungen der Gesetze zu bilden, und ihm für den zukünftigen
Ausbau dieser Gesetzgebung Material liefern. Einen Anspruch auf derartige
Mitteilungen hat der Reichstag nur dann, wenn die Berichterstattung an
den Reichstag reichsgesetzlich vorgeschrieben ist (Beispiele dafür bei Laband I
S. 281 A. 3). Darüber hinaus legt die Reichsverwaltung dem Reichstage
aus freien Stücken Material vor, selbst in Angelegenheiten, bei denen es
sich nicht um die Ausführung bestimmter Reichsgesetze handelt, z. B. die
Aktenauszüge über einzelne Fragen der auswärtigen Politik. Hier waltet
offenbar die Tendenz ob, in dem Reichstag dasjenige Organ, das in An-
sehung der Reichsgesetzgebung einen mit der Regierung gleichberechtigten
Faktor bildet und mit dem in allen großen Fragen zusammenzugehen die
Verbündeten Regierungen angewiesen sind, und mit dem Reichstag zugleich
die öffentliche Meinung für bedeutungsvolle Verwaltungsfragen zu interessieren,
da die wenn auch nur beratende Mitwirkung der Volksvertretung, mag sie
beifällig oder kritisch sein, in jedem Falle anregend ist.
Dabei handelt es sich nur um freiwillige Leistungen der Reichsver-
waltung. Ein einseitiger Beschluß des Reichstags, daß ihm über die Aus-
führung des einen oder anderen Reichsgesetzes oder über diese oder jene
Verwaltungsmaßregel Bericht zu erstatten sei, wäre wirkungslos, wenn er
nicht vom Bundesrat oder von der Reichsverwaltung — je nach dem
Ressort, um das es sich handelt — genehmigt wird; vgl. Zorn I S. 242.
Allen diesen Berichten ist charakteristisch, daß der Reichstag ihnen
gegenüber keine entscheidende Stellung hat. Er kann sie einfach zur Kennt-
nis nehmen oder kritisch beurteilen und Erörterungen aller Art daran
knüpfen; ein Beschluß aber wäre gegenstandslos. Dagegen gibt es auch
Berichte, in Ansehung deren der Reichstag zu beschließen hat, ob er den
Inhalt genehmigen oder ablehnen will, und aus der Ablehnung entspringt
eine Verantwortlichkeit der Reichsverwaltung. Dies gilt für den Bericht,
der die gemäß Art. 72 R.V. zu legende Rechnung enthält, ferner für die
Berichte der Reichsschuldenkommission auf Grund des Ges. v. 27. Jan. 1875
R.G. Bl. S. 18 §55 und v. 23. Mai 1873 R. G. Bl. S. 117 § 13. In
keinem Falle darf der Reichstag in die Verwaltung unmittelbar eingreifen,
um sich Informationen zu verschaffen. Es ist insbesondere nicht zulässig,
daß er sebst Ermittelungen anstellt, um irgend welche Vorgänge der Ver-
waltung oder sonstige Ereignisse festzustellen. Entsprechende Anträge, die
im konst. Reichstag als Amendements zu Art. 23 gestellt wurden, sind ab-
gelehnt worden (St. B. 448, 450). In der Session von 1868 wurde noch
folgendes Amendement zu Art. 23 gestellt: „Der Reichstag hat das Recht,
behufs seiner Information Kommissionen zur Untersuchung von Tatsachen
zu ernennen. Die Behörden find gehalten, diesen Kommissionen bei Aus-
übung ihrer Amtspflicht, innerhalb der Grenzen ihres Kommissoriums die
gefordete Unterstützung zu gewähren.“ Auch dieser schon stark eingeschränkte
Antrag wurde abgelehnt St. B. 1 S. 258ff. In der Literatur besteht darüber