Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

V. Reichstag. Art. 24. 441 
Bestimmung gemäß handeln, wenn er in Angelegenheiten jeder Art nur 
den politischen Gesichtspunkten folgt, die von der jeweiligen Mehrheit ge- 
tragen werden. Auch die Verschwiegenheit über den Inhalt der Akten 
würde durch keine positive Bestimmung gesichert sein, abgesehen davon, daß, 
wenn die Akten nicht nur den Kommissionen sondern auch dem Plenum 
zugänglich gemacht werden sollen, die Veröffentlichung des Akteninhalts sich 
aus der Offentlichkeit der Verhandlungen ohne weiteres ergeben würde. 
Artikel 24. 
Die Legislaturperiode des Reichstages dauert fünf Jahre. Zur Auf- 
lösung des Reichstags während derselben ist ein Beschluß des Bundesrats 
unter Zustimmung des Kaisers erforderlich. 
I. Die Dauer der Legislaturperiode. 
Die jetzige Fassung des Art. 24 beruht auf dem Ges. v. 19. März 1888 
R.G.Bl. S. 110. Bis dahin dauerte die Periode nur drei Jahre. 
Die Reichsverfassung bestimmt den Begriff der Legislaturperiode nicht. 
Art. 24 ist aus der gleichlautenden Bestimmung des Art. 73 der preuß. 
Verf.Urk. übernommen. Auch dort findet sich keine Legaldefinition. Nach 
dem Wortfinn aber kann die „Legislaturperiode“ nur denjenigen Zeitabschnitt 
bedeuten, in welchem das Parlament zur Beschlußfassung über Gesetze be- 
rufen und befähigt ist. 
Es ist streitig, ob die Legislaturperiode mit dem Tage der Wahlen 
oder mit der Eröffnung des Reichstags beginnt. Die erstere Anficht vertreten 
u. a. Laband 1 S. 315 A. 1 und D. Jur. Zeit. 1902 S. 489, v. Seydel 
S. 204, v. Rönne I S. 252, Meyer S. 447 A. 3, Anschütz Enchklopädie 
S. 553, v. Jagemann S. 130, Perels im Arch. f.öff. Recht Bd. 19 S. 1ff., 
Müller-Meiningen in Hirth's Annalen 1902 S. 724. — Dagegen Arndt 
S. 133, Kommentar 192, D.Jur.Zeit. 1902 S. 477, Hirth's Annalen 1903 
S. 721ff., Herrfurth D.Jur. Zeit. 1898 S. 2ff., Reincke S. 179, Bornhak 
Preuß. Staatsrecht 1 S. 391, v. Stengel Preuß. Staatsrecht S. 81. 
Die Frage bekam i. J. 1903 eine gewisse praktische Bedeutung, als es 
mit Rückficht auf die Geschäftslage des Reichstags zweifelhaft wurde, ob 
der dem Reichstage unter d. 19. Nov. 1901 vorgelegte Entwurf eines Zoll- 
tarifgesetzes noch würde innerhalb der 10. Leg.-Per. erledigt werden können, 
wenn man den Beginn dieser Periode vom Wahltage des Jahres 1898 und 
nicht vom Tage des ersten Zusammentritts des Reichstags an berechnete. 
Was die Stellung der Praxis zu dieser zweifelhaften Frage betrifft, 
so spricht für die Ansicht, daß der Wahltag maßgebend sei, eine Bemerkung 
in den Motiven des Wahlgesetzes — Anl. 1869 Bd. 3 S. 143 Nr. 17 — 
„daß die erste Legislaturperiode des Reichstags am 31. Aug. 1870 ihr 
Ende erreiche, da die allgemeinen Wahlen für diese Legislaturperiode am 
31. Aug. 1867 vollzogen wurden“, Es liegt aber die Vermutung nahe, 
daß es sich hierbei nur um eine persönliche Ansicht des Verfassers der 
Motive handelt, daß die Bemerkung von den verantwortlichen Regierungs- 
organen übersehen worden ist und daß, wenn dies nicht der Fall gewesen 
wäre, insbesondere Fürst Bismarck sie nicht gebilligt hätte. In Preußen
	        
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