Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

V. Reichstag. Art. 31. 467 
Ahnliche Voraussetzungen bestehen für die Beschlüsse des Reichstags, 
mittels deren er gemäß Art. 31 Abs. 3 über die Unterbrechung eines beim 
Beginn der Sitzungsperiode bereits eingeleiteten Strafverfahrens oder einer 
zu diesem Zeitpunkt bereits angetretenen Untersuchungs= oder Zivilhaft oder 
auf Grund der §§ 382, 402 C.P.O. und 88 49, 72 St. P.O. darüber ent- 
scheidet, ob es zulässig sein soll, daß ein Reichstagsmitglied während der 
Sitzungsperiode und seines Aufenthalts in Berlin außerhalb Berlins als 
Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden soll; val. z. B. die Reichs- 
tagssitzung v. 25. Jan. 1902 St. B. 3655 f. 
Die Genehmigung des Reichstags ist Voraussetzung für das Straf- 
verfahren. Ohne fie darf die Untersuchung nicht eröffnet und die Verhaftung 
nicht vorgenommen werden; die Unzulässigkeit des Verfahrens tritt nicht 
erst ein, wenn die Genehmigung versagt ist, sondern das Verfahren ist eben- 
so unzulässig, wenn die Genehmigung nicht erteilt, weil sie gar nicht nach- 
gesucht ist; vgl. Reichsgericht, Urt. v. 24. Juni 1892 IV. Strif. Bd. 28 
S. 185 und v. 25. Okt. 1900 III. Strfs. Bd. 338 S. 410; Sontag, der 
besondere Schutz der Mitglieder des deutschen Reichstags und der deutschen 
Landtage gegen Strafverfolgung und Verhaftung S. 30f., Arndt S. 143. 
Umgekehrt tritt die Untersuchung nach Art 31 Abs. 3 nicht ipso jure, sondern 
nur auf ausdrückliches Verlangen des Reichstags ein; die strafverfolgenden 
Behörden brauchen dazu keinerlei Anregung zu geben. Der Geschäftsverkehr 
zwischen dem Reichstag und den Behörden wird in diesen wie in allen 
anderen Fällen durch den Reichskanzler vermittelt. 
II. Der Berzicht ist unzulässig. 
Nach Art. 31 ist es der Reichstag, der um die Genehmigung angegangen 
werden muß, nicht der einzelne Abgeordnete. Deshalb kann der beteiligte 
Abgeordnete auf die Genehmigung des Reichstags nicht wirksam verzichten. 
Dies entspricht der Tendenz der Bestimmung, weil dem Abgeordneten nicht 
ein persönliches Privileg verliehen werden soll, sondern weil es sich um ein 
konstitutionelles, auf die Stärkung der Volksvertretung in ihrer Gesamtheit 
abzielendes Recht handelt, über das nur die Gesamtheit der Volksvertretung 
verfügen darf. 
III. Die Dauer der Sitzungsperiode. 
Das Genehmigungsrecht des Reichstags erstreckt sich auf die ganze 
Dauer der Sitzungsperiode, aber nicht darüber hinaus. Es beginnt also 
mit dem Tage der Eröffnung des Reichstags, nicht bereits mit dem Tage 
der Wahl, und endet mit der förmlichen Schließung des Reichstags. Da 
die Sitzungsperiode auch den Zeitraum der Vertagung umfaßt, so erstreckt 
sich das Recht des Reichstags auf die Dauer der Vertagung — so das 
Reichsgericht Urt. v. 25. Febr. 1892 lIII. Strfs. Bd. 22 S. 379, die Geschäfts- 
ordnungskommission des Reichstags, vgl. die Zitate bei Meyer S. 455 M. 14, 
Laband 1 S. 332, Zorn I S. 233, Arndt S. 133, v. Seydel S. 213f., 
Sontag a. a. O. S. 39 f.; anderer Ansicht Binding a. a. O. S. 680 A. 22, 
Fuld a. a. O. S. 347. 
IV. Die Untersuchung. 
Den Begriff der Untersuchung im Sinne des Art. 31 hat das Reichs- 
gericht in der Entsch, v. 9. Juni 1893 IV. Strfs. Bd. 24 S. 206 dahin 
festgestellt, daß nicht die Vorschriften der jetzt geltenden Strafprozeßordnung 
30“
	        
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