470 V. Reichstag. Art. 31.
in dem vom Reichsgericht behandelten Falle, daß das Strafverfahren schon
vor Beginn der Sitzungsperiode eingeleitet ist, da sonst Art. 31 Abs. 1 an-
zuwenden und danach jede in das Gebiet des Strafverfahrens fallende Maß-
regel unzuläffig ist.
Die „Ergreifung“ im Sinne des Art. 31 setzt voraus, daß der Täter sich
der Verhaftung entziehen wollte; vgl. St. B. der 9. Leg.-Per. 4. Seff. 2096.
Nach Art. 31 ist es notwendig daß der Täter bei Ausübung der Tat selbst
ergriffen wird. Die Fassung ist daher enger als der Begriff „der frischen
Tat“ im Sinne des § 104 und 127 St.P.O. denn eine Verfolgung „auf
frischer Tat“ ist auch vorhanden, wenn die Tat unmittelbar nach ihrer
Verübung entdeckt und auf Grund der hierbei gemachten, auf den Täter
hinweisenden Wahrnehmungen die Verfolgung des Täters unmittelbar be-
gonnen worden ist; so Löwe-Hellweg Strafprozeßordnung § 104 A. 2. Auch
im Falle der Ergreifung bei Ausübung der Tat steht natürlich dem Reichs-
tag das Recht zu, auf Grund des Art. 31 Abs. 3 die Unterbrechung des Ver-
fahrens und die Freilassung für die Dauer der Sitzungsperiode zu fordern.
VI. Die Verjährung.
Da nach Art. 31 richterliche Handlungen, die gemäß § 68 Str.G. B.
an sich geeignet sind den Lauf der Verjährung der Strafverfolgung zu
unterbrechen, unzulässig find und da nach der feststehenden Rechtsprechung
des Reichsgerichts die Vertagungen im Sinne des Art. 31 der Sitzungs-
periode zugerechnet werden und die Vertagungen von einem Jahre zum
anderen sich erstrecken können, also der Lauf des Strafverfahrens ohne die
Möglichkeit einer Unterbrechung der Verjährung auf Jahre hinaus gehemmt
sein würde, war früher bei Vergehen mit kurzfristiger Verjährung, über-
tretungen und namentlich Preßdelikten die Verjährung gegen Abgeordnete
überhaupt kaum zu verhindern. Um die sich daraus ergebende, dem Ansehen
des Reichstags nicht förderliche Störung der Rechtspflege zu beseitigen, wurde
durch das Reichsgesetz v. 26. März 1893 R. G. Bl. S. 133 der 39 69
St. G. B. dahin geändert, daß die Verjährung in der Zeit ruht, in der auf
Grund des Art. 31 oder des § 11 St. G. B. die Strafverfolgung nicht be-
gonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Gemäß der Rechtsprechung des
Reichsgerichts ist jetzt die Rechtslage derart, daß, wenn das Reichstags-
mitglied eine Straftat nach Beginn der Sitzungsperiode begeht, die Ein-
leitung des Strafverfahrens bis zur Beendigung der Sitzungsperiode auf-
geschoben werden kann, ohne daß die Verjährung in Lauf tritt, dabei ist
vorausgesetzt, daß der Reichstag nicht die Genehmigung zur Einleitung des
Strafverfahrens erteilt hat. Gleichgültig ist es, ob der Reichstag um die Ge-
nehmigung vergeblich oder überhaupt nicht ersucht worden ist; so das Reichs-
gericht Entsch, v. 17. Okt. 1895 Bd. 27 S. 385 u. v. 25. Okt. 1900 Bd. 33
S. 410 und Olshausen § 11 A. 1c. JIst aber die Straftat vor dem Beginn
der Sitzungsperiode begangen, so steht Art. 31 der Einleitung der Unter-
suchung bis zum Beginn der Sitzungsperiode nicht entgegen. Die Verjährung
beginnt deshalb mit der Begehung der Straftat und ruht erst, wenn nach
dem Beginn der Sitzungsperiode der Reichstag von dem ihm zustehenden
Recht, die Aufhebung des Strafverfahrens zu verlangen, Gebrauch gemacht hat.
Danach ist die Strafverfolgung gegen Abgeordnete jetzt nur noch verlangsamt,
aber selbst für Delikte mit kurzer Verjährungsfrist nicht mehr verhindert.