40 II. Reichsgesetzgebung. Art. 2.
4. Das räumliche Gebiet der Reichsgesetzgebung.
„Innerhalb dieses Bundesgebiets“ übt das Reich das Recht der
Gesetzgebung aus. Dadurch soll mehr zum Ausdruck gebracht werden, daß
das ganze Bundesgebiet der Gesetzgebung des Reichs unterworfen ist, als
daß eine bestimmte räumliche Begrenzung für die Wirksamkeit der Gesetz-
gebung des Reichs vorgeschrieben ist. Denn eine räumliche Begrenzung ist
überhaupt nicht denkbar, weil eine große Zahl von Reichsgesetzen eine un-
mittelbare oder mittelbare Wirkung auch auf die im Ausland wohnenden
oder sich aufhaltenden Inländer, selbst auf die im Ausland wohnenden
Ausländer, auf im Ausland befindliche Vermögenswerte und auf im Aus-
land entstandene Rechte ausübt. Andererseits ist durch die Worte „inner-
halb dieses Bundesgebiets“ nicht bestimmt, daß jedes Reichsgesetz sich auf
das ganze Bundesgebiet erstrecken muß; vgl. Arndt S. 172 A. 1.
Unter den Worten „dieses Bundesgebiet“ war ursprünglich nur das
im Art. 1 näher bezeichnete Gebiet zu verstehen. Nachdem aber das Gebiet
des Deutschen Reichs durch den Zutritt des Reichslandes Elsaß-Lothringen
und durch die Einverleibung von Helgoland in Preußen erweitert worden
und in beiden Territorien die Reichsverfassung in Kraft getreten ist, gelten
Reichsgesetze, die ohne Gebietsbeschränkung erlassen sind, ohne weiteres für
Elsaß-Lothringen und Helgoland. Durch den Zuwachs von Elsaß-Lothringen
hat die Reichsgesetzgebung übrigens auch materiell ein neues Feld erhalten,
da dort nach dem Reichsgesetz v. 2. Mai 1877 R.G. Bl. S. 491 die Landes-
gesetzgebung auch durch das Reich — wenigstens ausnahmsweise — ge-
regelt werden kann. Ferner sind die Schutzgebiete nach § 3 des Schutz-
gebietsgesetzes R.G. Bl. 1900 S. 813 der Reichsgesetzgebung insofern
unterworfen, als die im § 19 des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes v. 7. April
1900 R.G. Bl. S. 213 genannten Gesetze in den Schutzgebieten gelten und
nur durch neue Reichsgesetze in ihrer Wirkung für die Schutzgebiete ab-
geändert werden können.
Sieht man von den Schutzgebieten ab, die nicht ein Teil des Bundes-
gebiets find und in denen die Reichsverfassung nicht gilt, sondern nur
einige Reichsgesetze besonders eingeführt sind, so hat das Bundesgebiet seit
der Gründung des Reichs eine Erweiterung lediglich durch den Erwerb von
Elsaß-Lothringen und Helgoland — neben einigen hier nicht in Betracht
kommenden Grenzregulierungen — erfahren. Für beide Gebiete ist das
zur Zeit des Erwerbes geltende Reichsrecht durch besondere reichsgesetzliche
Bestimmungen eingeführt worden — vgl. Ges. v. 25. Juni 1873 R.G. Bl.
S. 161 und Ges. v. 15. Dez. 1890 R.G.Bl. S. 207 §6 — und zwar
mit Recht. Denn während es für Polizeiverordnungen streitig ist, ob fie
bei einer Veränderung des Gebiets, für das sie ursprünglich erlassen find,
sich ohne weiteres auf den Gebietszuwachs erstrecken (dafür das Ober-
Verwaltungsgericht Urt. v. 18. Juni 1900 Bd. 37 S. 412 und Urt. v.
3. April 1906 Bd. 48 S. 21 — dagegen das Kammerzgericht Urt. v.
10. Mai 1900 Bd. 20 Ch57) ist für Staats- und Reichsgesetze das Gegen-
teil anerkannt — vgl. Entsch, des Reichsgerichts v. 5. Okt. 1891 I Cs.
Bd. 28 S. 306. Es ist nämlich davon auszugehen, daß bei dem Erlaß
der Reichsgesetze ein anderes Gebiet ihres Wirkungskreises als das zur Zeit
ihres Erlasses vorhandene nicht in Aussicht genommen werden kann und,