Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 2. 41 
wie anzunehmen ist, auch tatsächlich nicht in Aussicht genommen worden 
ist und daß es deshalb im Sinne der gesetzgebenden Faktoren liegt, daß 
die Gesetze bei einer Erweiterung des Staatsgebietes nicht ohne weiteres 
auf den Gebietszuwachs Anwendung finden sollen. 
Die Worte „innerhalb des Bundesgebiets“ weisen endlich auch auf 
die Legitimation des Reichs hin, für das Bundesgebiet Gesetze in solchen 
Materien zu erlassen, die unter der Verwaltung der Einzelsta aten geblieben 
sind, z. B. Rechtspflege, Polizei. Innerhalb des Bundesgebiets find eben 
der Reichsgesetzgebung keine anderen Schranken gezogen, als in der Reichs- 
verfafsung und in den die Reichsverfassung nach dieser Richtung ergänzenden 
Gesetzen enthalten find. 
II. Die Wirkung der Reichsgesetzgebung. 
1. Der Vorrang der Reichsgesetze vor den Landesgesetzen. 
Das Reich ist nicht nur zur selbständigen Gesetzgebung befugt, sondern 
seine Gesetze gehen auch den Landesgesetzen ohne weiteres vor. Darin liegt 
eine Konsequenz des Umstandes, daß das Reich, soweit seine Kompetenz 
reicht, ein den Einzelstaaten übergeordnetes Staatswesen ist — vgl. die 
Entsch. des Reichsgerichts, Cs. Bd. 44 S. 380. — Gegenüber der prävalierenden 
Wirkung des Reichsgesetzes ist es gleichgültig, ob das Landesgesetz vor oder 
nach dem Reichsgesetz erlassen ist und ob es sich nach seiner äußeren Form 
als Spezialgesetz darstellt; vgl. Meyer S. 612. 
Mit den Reichsgesetzen sind nicht die Fälle zu verwechseln, in denen 
auf Grund einer gegenseitigen Einigung und Verständigung der Ver- 
bündeten Regierungen übereinstimmende Landesgesetze in allen Einzelstaaten 
erlassen worden sind. Dies kommt vor, einmal wenn der Weg der Reichs- 
gesetzgebung nach der Verfassung nicht gegeben ist und eine die Kompetenz 
der Einzelstaaten einschränkende Verfassungsänderung vermieden werden soll 
und ferner auf dem der Reichsgesetzgebung an sich zugewiesenen Gebiet, 
wenn aus politischen oder irgendwelchen anderen praktischen Gründen der Weg 
der Reichsgesetzgebung zurzeit nicht opportun erscheint, z. B. wenn vor der 
endgültigen reichsgesetzlichen Regelung noch weitere Erfahrungen gesammelt 
werden sollen, aber eine einheitliche Regelung sofort notwendig ist. Für 
derartige auf freier Vereinbarung beruhende übereinstimmende Landesgesetze 
gilt natürlich das Vorrecht der Reichsgesetze nicht. Sie können durch jedes 
spätere Landesgesetz außer Kraft gesetzt werden; vgl. v. Jagemann S. 36 
und Art. 4 Al. 5. 
2. Der für die Landesgesetze bestehen gebliebene Wirkung kreis. 
Nur die in der Reichsverfassung einzeln und bestimmt bezeichneten 
Gebiete unterliegen der Gesetzgebung des Reichs, während alle anderen 
Materien nach wie vor der Gründung des Reichs landesgesetzlich zu regeln 
find. Der Grund hierfür liegt darin, daß nicht die Einzelstaaten vom 
Reich, sondern das Reich von den Einzelstaaten errichtet worden ist und 
das Reich seine Staatsgewalt nur der Tatsache verdankt, daß die Einzel- 
staaten auf bestimmte einzelne — allerdings sehr bedeutungsvolle — Funktionen 
zugunsten des Reichs verzichtet haben.
	        
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