VI. Zoll- und Handelswesen. Art. 88. 485
V. Der Meeressaum.
Während nach anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen der Meeres-
saum bis zur Entfernung von drei Seemeilen zum Staatsgebiet gehhrt,
reicht das Zollgebiet nicht so weit und erstreckt sich im Gegensatz zum
Staatsgebiet auch nicht unbedingt auf die Küstengewässer, vielmehr bildet
überall, wo das Meer oder ein Wasserstand, der von Ebbe und Flut ab-
hängig ist, an das Land grenzt, „die jedesmalige den Wasserspiegel be-
grenzende Linie des Landes“ gemäß § 16 des Vereinsgzollgesetzes v. 1. Juli
1869 B. G. Bl. S. 317 die Zolllinie. Dadurch wird festgestellt, wann bei
der Wareneinfuhr auf dem Seewege die Zollpflicht eintritt. Künstliche, in
das Wasser hinausreichende Anlagen (Molen, Dämme usw.) gelten als festes
Land; bei Überschwemmungen ist die gewöhnliche Flutlinie als Zollgrenze
zu betrachten; vgl. Bundesratsbeschluß v. 23. Dez. 1869, bei Arndt S. 351
A. 8, 9 angeführt.
VI. Der freie Warenverkehr.
Die Bestimmung des Art. 33 Abs. 2 bedeutet die Freizügigkeit der
Waren, wie Art. 3 R.V. die Freizügigkeit der Personen bestimmt. Der im
Abs. 2 enthaltene Grundsatz ist im Zollvereinsvertrage näher ausgeführt.
Ferner enthält eine ergänzende Bestimmung § 1 des Vereinsgollgesetzes,
welche lautet:
„Alle Erzeugnisse der Natur wie des Kunst= und Gewerbefleißes dürfen
im ganzen Umfange des Vereinsgebietes eingeführt, ausgeführt und durch-
geführt werden.“
In Konsequenz der Bestimmungen des Art. 33 Abs. 2 unterliegt die
Wareneinfuhr für alle Bundesstaaten denselben Grundsätzen. Binnenzölle
dürfen nicht erhoben werden, und der Reichszoll ist für alle Bundesstaaten
derselbe; Einfuhrverbote dürfen von den Einzelstaaten eigentlich nicht erlassen
werden, ebensowenig Bestimmungen anderer Art, die geeignet find, in irgend
welcher Form die Einfuhr aus anderen Bundesstaaten zu erschweren. Doch
bezieht sich Art. 33 Abs. 2 nicht auf Lotterielose und ihnen wirtschaftlich
gleichstehende Papiere; gegen ihre Einfuhr aus anderen Bundesstaaten kann
sich jeder Staat schützen. Dies ist allgemein anerkannt, z. B. in der Entsch.
des Oberverwaltungsgerichts v. 10. Okt. 1901 Bd. 40 S. 304 und Entsch.
des Kammergerichts Bd. 21 S. 52 C.
Ausfuhrverbote dürfen von einem Einzelstaat nicht mehr erlassen werden;
fie würden, sofern sie sich gegen das Ausland richten, gegen Art. 35 R.V.
verstoßen, weil danach dem Reich ausschließlich die Gesetzgebung über das
gesamte Zollwesen zusteht und das Zollwesen die Ausfuhrverbote umfaßt;
wenn solche Verbote gegen andere Bundesstaaten gerichtet sind, stehen sie
im Widerspruch mit Art. 83 Abs. 2. Auch außerordentliche Umstände,
z. B. Kriegsgefahr, geben keinem Einzelstaat mehr das Recht zum Erlaß
von Ausfuhrverboten; die entsprechende Bestimmung des Zollv.-Vertr.
Art. 4 Abs. 2—4 ist als durch Art. 11, 35 und 7 Ziff. 2 R.V., sowie
§§ 2, 167 Abs. 2 des Vereinszollgesetzes aufgehoben anzusehen; val. Del-
brück a. a. O. S. 24, v. Seydel, S. 229, Arndt Kommentar S. 239 A. 5.
Ausfuhrprämien oder Zollermäßigungen dürfen von den Einzelstaaten
ebenfalls nicht mehr gewährt werden, selbst wenn der betr. Einzelstaat dem
Reich den entstehenden Ausfall zu ersetzen bereit ist; vgl. Delbrück a. a. O.