Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

490 VI. Zoll= und Handelswesen. Art. 35. 
I. Die ausschließliche Kompetenz des Reichs zur Gesetzgebung 
auf dem Gebiete des Zoll= und Steuerwesens. 
Durch Art. 35 ist die Grundlage für die finanzielle Sicherstellung des. 
Reichs geschaffen. Der Reichshaushalt sollte nach dem Willen der Gründer 
des Reichs auf den Einnahmen aus den Zöllen und indirekten Steuern 
aufgebaut werden, damit die direkten Steuern den Einzelstaaten reserviert 
bleiben konnten. In zweiter Reihe sollten die Einnahmen aus den eigenen 
Wirtschaftsbetrieben des Reichs stehen, wie Post und Telegraphie, Eisen- 
bahnen usw. und erst in letzter Linie — als Notbehelf — die Matrikular- 
beiträge. 
Die Bestimmung darüber, daß der Ertrag der Zölle und indirekten 
Steuern in die Reichskasse fließt, ist im Art. 38 enthalten. Diese Be- 
stimmung wird durch Art. 35 insofern vorbereitet, als hier neben den Zöllen 
die Steuern einzeln bezeichnet sind, deren Ertrag nach Art. 38 in die Reichs- 
kasse fließen soll, und ferner wird im Art. 35 aus der finanziellen Zweck- 
bestimmung der Zölle und indirekten Steuern die staatsrechtliche Konsequenz 
gezogen, daß nur das Reich die Zölle und Steuern gesetzlich regeln darf. 
Dies war notwendig. Denn es bedurfte einer doppelten Garantie: einmal 
dafür, daß der durch die finanziellen Bedürfnisse des Reichs erforderte 
Steuerbetrag auch wirklich beschafft wird, ferner dafür, daß die Lasten unter 
die Einzelstaaten gleichmäßig verteilt und von ihnen nach denselben Grund- 
sätzen aufgebracht werden. Deshalb mußte dem Reich durch die Verfassung 
die Fähigkeit, die Steuerschraube nach Belieben anzuziehen oder nachzulassen, 
verliehen und ferner die Regelung der Beitreibung der Steuer anvertraut 
werden. Diesem doppelten Erfordernis wird die Verfassung im Art. 35 
dadurch gerecht, daß sie dem Reiche die ausschließliche Gesetzgebung über 
das gesamte Zollwesen und über die im Art. 35 näher bezeichneten Steuern 
überträgt, deren Kreis durch spätere Reichsgesetze, entsprechend den zunehmen- 
den finanziellen Bedürfnissen des Reichs, erweitert worden ist. 
Die Ausschließlichkeit der Gesetzgebung des Reichs bedeutet die Un- 
zulässigkeit jeder konkurrierenden und ergänzenden Gesetzgebung der Einzel- 
staaten, und infolge der für alle Reichszölle und Reichssteuern bereits er- 
lassenen Reichsgesetze sind gemäß Art. 2 R.V. die Landeegesetze, welche die 
vom Art. 35 betroffenen Gegenstände einer Besteuerung unterwerfen, durchweg 
aufgehoben. Das Reichsgericht hat z. B. in einer Entsch. v. 30. Nov. 1894 
III. Cs. Bd. 34 S. 140 aousgesprochen, daß die in dem Herzogtum Anhalt 
durch das Anhaltische Berggesetz v. 30. April 1875 auf das nicht zum Genuß 
für Menschen bestimmte Speisesalz gelegte Steuer unzulässig sei und daß 
die Landesgesetzgebung eine Steuer oder steuerähnliche Leistung von öffentlich- 
rechtlichem Charakter, wie sie auch geartet sein möge, auf das Salz nicht 
legen dürfe. Man kann diesen Satz ohne Bedenken auf alle anderen Reichs- 
steuern übertragen. Ebenso unzulässig sind Staatsverträge der Einzelstaaten 
über Zölle und die dem Reich vorbehaltenen indirekten Steuern, weil die 
Befugnis zu Staatsverträgen stets mit der Gesetzgebungsbefugnis Hand in 
Hand geht. Die Landesgesetzgebung ist ferner nicht nur für die eigenen 
fiskalischen Interessen der Einzelstaaten, sondern selbst dann ausgeschlossen, 
wenn sie dem Interesse des Reichsfiskus dienen soll, weil auch bei dieser 
Tendenz die gesetzgebende Tätigkeit der Einzelstaaten der pofitiven Bestimmung
	        
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