Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

VI. Zoll= und Handelswesen. Art. 35. 491 
des Art. 85 widerspricht. Die Landesgesetzgebung und ebenso Verordnungen, 
die von den Regierungen oder Behörden der Einzelstaaten ausgehen, können 
deshalb nur noch zur Ausführung der Reichsgesetze und nur so weit in 
Betracht kommen, als die Reichsgesetzgebung den Einzelstaaten ausdrücklich 
die Befugnis zu Ausführungsbestimmungen überträgt. Eine Ausnahme 
besteht allein für die Vorschriften, durch welche die Einzelstaaten den inneren 
Dienstbetrieb für die mit der Erhebung und Verwaltung der Zölle und 
Verbrauchssteuern beauftragten Behörden und sonstigen Organe regeln. 
Denn gemäß Art. 36 R.V. ist die Erhebung und Verwaltung der Zölle 
und Verbrauchssteuern der eigenen Verwaltung der Einzelstaaten vorbehalten 
und daraus ergibt sich von selbst deren Befugnis, alle auf den inneren 
Geschäftsgang dieser Betriebsstellen sich beziehenden Bestimmungen zu treffen, 
insbesondere z. B. deren Anstellungs-, Rang= und Besoldungsverhältnisse, 
Disziplin und Geschäftsverteilung zu regeln. Darüber hinaus reicht die 
verfassungsmäßige Kompetenz der Einzelstaaten nicht. Um auf dem sach- 
lichen, die fiskalischen Interessen des Reichs berührenden Gebiet des Zoll- 
und Steuerwesens eingreifen zu können, bedürfen sie einer besonderen Er- 
mächtigung; sonst ist der Bundesrat auf Grund des Art. 7 R.V. die höchste 
Verwaltungsinstanz. 
II. Zölle. 
a) Begriff. 
Zölle find die Abgaben, die von den vom Ausland ein-, aus= oder 
durchgeführten Waren erhoben werden. Unter Ausland im Sinne dieses 
Satzes ist das ganze Gebiet zu verstehen, das außerhalb der Zollgrenze 
gelegen ist. Man unterscheidet Finanzzölle im engeren Sinne von anderen 
Zöllen. Reine Finanzzölle find diejenigen, die nur aus fiskalischen Gesichts- 
punkten erhoben werden. Hierzu find vorzugsweise die Gegenstände geeignet, 
deren Konsum weit verbreitet ist und die deshalb in großen Massen ein- 
geführt, aber im Inland nicht erzeugt werden, so daß die Verzollung die 
Einfuhr nicht verhindern, noch wesentlich vermindern kann, während anderer- 
seits die Gegenstände nicht so unentbehrlich sind, daß die aus einer beträcht- 
lichen Verzollung sich ergebende Verteuerung einen Notstand erzeugen kann; 
Beispiele sind Kaffee und Tee, die beide unter rein finanzpolitischen Ge- 
sichtspunkten durch das Ges. v. 15. Juli 1909 Art. 11 R.G.Bl. S. 746 einer 
besonderen Zollerhöhung unterworfen sind, und in gewissem Grade Petro- 
leum, weil der Konsum des Petroleums als Beleuchtungsmittel durch weniger 
splendide Verwendung einer Einschränkung fähig ist. Bei vielen anderen, 
um nicht zu sagen bei den meisten Waren wird die Verzollung nicht aus 
finanz-, sondern aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten geregelt. Was 
das moderne Wirtschaftsleben kennzeichnet, ist ein weitgehendes Protektions- 
system des Staates; der Staat will aus Gründen der allgemeinen Politik 
diese oder jene Urproduktion — Landwirtschaft oder Industrie — den Ver- 
edelungsverkehr, Handel oder Handwerk schützen, und daraus ergibt sich ein 
kompliziertes Schutzzollsystem, bei dem die finanzpolitischen Erwägungen 
ziemlich stark in den Hintergrund treten. Es werden Gegenstände des 
Massenverbrauchs unverzollt in das Land gelassen, wenn sie, wie z. B. 
Baumwolle, ein Rohprodukt darstellen, das im Inlande nicht erzeugt wird, 
aber die Unterlage für eine weit ausgebildete Industrie oder den Handel
	        
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