Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

508 VI. Zoll- und Handelswesen. Art. 37. 
hat und nach der Reichsverfassung nicht haben kann. Wohl aber kann der 
Bundesrat aus einem einzelnen Fall auf Grund des Art. 36 Abs. 3 ebenso 
wie auf Grund des Art. 7 Ziff. 3 Veranlassung nehmen, von seiner Ver- 
ordnungsgewalt Gebrauch zu machen, um durch allgemeine Regelung die 
Wiederkehr von Fällen, die sich als die Folgen von Mißständen heraus- 
gestellt haben, unmöglich zu machen; vgl. die Ausführungen des Staats- 
sekretärs des Reichsschatzamts Graf Posadowsky-Wehner in der Reichstags- 
sitzung v. 4. Dez. 1896 St.B. 3715, 3718. Dem Bundesrat steht zwar 
insbesondere auf die Auslegung des Zolltarifs ein maßgebender Einfluß 
zu. Denn es ist ihm durch § 12 des Vereinsgollgesetzes die Befugnis bei- 
gelegt worden, durch das unter seiner formellen Urheberschaft herauszugebende 
amtliche Warenverzeichnis zu bestimmen, wie der Zolltarif praktisch an- 
gewendet werden soll. Aber diese Bestimmung ist genereller Natur. Streitig- 
keiten über die Anwendung des Zolltarifs im einzelnen Fall werden nach 
*12 des Vereinsgzollgesetzes im Verwaltungswege entschieden. Gegen die 
Entscheidung des Zollamts kann bei der Direktivbehörde, d. h. in Preußen 
der Provinzialsteuerdirektion, gegen deren Entscheidung bei der Zentralbehörde 
des Einzelstaats, in Preußen bei dem Finanzminister Beschwerde eingelegt 
werden. Der Bundesrat könnte dann nur unter besonderen Umständen ge- 
mäß § 118 des Vereinsgollgesetzes aus Billigkeitsrücksichten den Zoll ermäßigen 
oder erlassen, aber nicht die Rechtsfrage entscheiden; er kann natürlich, um für 
die Zukunft Abhilfe zu schaffen, das amtliche Warenverzeichnis ergänzen 
oder berichtigen; ebenso Lusensky D. Jur.Zeit. 1905 S.472, Laband IV S. 428. 
Dieser Instanzenzug ist durch Art. 19 des Zollv.-Vertr. festgelegt und 
damit gemäß Art. 40 R.#V. ein Bestandteil der Reichsverfassung selbst ge- 
worden. Daraus ergibt sich, daß die Einrichtung eines Zollgerichtshofes, 
die wiederholt im Reichstage verlangt wurde, d. i. eine richterliche Behörde, 
die letztinstanzlich über Zollfragen in konkreten Streitfällen zu entscheiden 
hat, dem Verfassungsrecht widerspricht, mag es sich dabei um eine Reichs- 
oder um eine Landesbehörde handeln. Als Reichsbehörde würde der Zoll- 
gerichtshof der Bestimmung des Art. 36 Abs. 1, als Landesbehörde noch 
dem Art. 19 des Zollv.-Vertr. widersprechen, der voraussetzt, daß die 
Ressortministerien konkrete Streitfälle in letzter Instanz entscheiden. Es ist 
natürlich eine andere Frage, ob gleichwohl die Einrichtung eines Zollgerichts- 
hofes aus Zweckmäßigkeitsgründen empfehlenswert ist. Ubrigens find bei der 
jetzigen Rechtslage auch die Verwaltungsbehörden darauf angewiesen, nach 
richterlichen Grundsätzen zu entscheiden, d. h. sie haben, wenn eine Zollfrage 
streitig wird, für den einzelnen Fall nur das geltende Recht anzuwenden. 
Der Bundesrat dagegen, der als rechtsetzendes, nicht rechtauslegendes Organ 
die Frage generell entscheidet, kann sich, wenn er nicht nur eine authentische 
Interpretation gibt, sondern neue Verordnungen erläßt, auch von admini- 
strativen Zweckmäßigkeitserwägungen leiten lassen. 
" Artikel 37. 
Bei der Beschlußnahme über die zur Ausführung der gemeinschaftlichen 
Gesetzgebung (Art. 35) dienenden Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen 
gibt die Stimme des Präsidiums alsdann den Ausschlag, wenn sie sich für 
Aufrechterhaltung der bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspricht.
	        
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