VI. Zoll- und Handelswesen. Art. 38. 511
B. Die Abzüge.
I. Die Zoll= und Steuervergütungen.
Die Einzelstaaten sind zwar verfassungsmäßig mit der eigenen Erhebung
und Verwaltung der Zölle und Steuern beauftragt, und sie tun es aus
eigenem Recht, nicht als Organe des Reichs. Da es aber die Reichskasse
ist, für welche die Abgaben erhoben werden, so sind die Einzelstaaten nicht
berechtigt, eigenmächtig, d. h. ohne reichsgesetzliche Unterlage Zoll- und
Steuernachlässe oder Zoll= und Steuerkredite oder irgendwelche sonstigen
Vergünstigungen generell zu gewähren; vgl. Art. 13 des Zollv.-Vertr. und
das bei Delbrück S. 59 f. in diesem Zusammenhang angeführte Protokoll
v. 3. April 1833 sowie § 23 des Hauptprotokolls der Münchener Vollzugs-
Kommission. Danach dürfen die Einzelstaaten aus eigener Machtvollkommen-
heit für Rechnung der Reichskasse überhaupt nicht, grundsätzlich aber auch
nicht einmal für ihre eigene Rechnung Zoll= und Steuervergünstigungen
gewähren. Dies steht im Einklang mit der Tatsache, daß durch die Zoll-
und Steuerpolitik des Reichs nicht nur fiskalische, sondern in hervorragendem
Maße auch handelspolitische Ziele verfolgt werden und daß den Einzelstaaten
nicht das Recht zugestanden werden kann, diese Politik des Reichs in ihrem
Lande durch einseitige Maßregeln der Zoll= und Steuerbegünstigung, die
doch nicht ohne Einfluß auf das Wirtschaftsleben der anderen Staaten
bleiben können, zu beeinflussen. Unbedeutende Ausnahmen sind nach Art. 15
des Zollv.-Vertr. für die Gegenstände zugelassen, die für die Hofhaltung
der Souveräne und für die diplomatischen Beamten eingehen; diese Sachen
sind zwar zollpflichtig, doch können die Zölle zurückvergütet werden. Die
Kosten, die dadurch aus der Zollfreiheit der diplomatischen Beamten ent-
stehen, werden seit dem 1. Jan. 1872 nach einem Beschluß des Bundesrats
für die Reichskasse übernommen, da die Diplomatie jetzt Reichsangelegenheit
ist; vgl. Delbrück a. a. O. S. 64.
Auch Zoll= und Steuerkredite dürfen von den Einzelstaaten nicht eigen-
mächtig gewährt werden, weil auch darin eine Begünstigung einzelner
Interessenten liegt, die mit dem im Art. 33 R.V. ausgesprochenen Grundsatz,
daß Deutschland ein Zoll- und Handelsgebiet bildet, im Widerspruch stehen
würde. Dieser Grundsatz erfordert eine einheitliche Zoll- und Handels-
politik und eine solche Politik gestattet es nicht, daß in dem einen Bundes-
staat die Interessenten durch langjährige Zoll- und Steuerkredite besser
gestellt werden als in dem andern. Es ist also Sache des Reichs, die Zoll-
und Steuervergütungen und Zoll= und Steuerkredite festzustellen. Auf eine
im konst. Reichstage gegebene Anregung St. B. 501 dies im Art. 38 aus-
drücklich festzustellen, erklärte es der Präsident Delbrück St.B. 502 für
überflüssig. Die reichsgesetzliche Feststellung allgemeiner Bedingungen für
die Gewährung von Zoll= und Steuerkrediten, die der Reichstag durch eine
in der Sitzung v. 30. Nov. 1871 angenommene Resolution St. B. 648
gefordert hatte, ist zunächst ausgeblieben, und da die Verfassung ausdrücklich
auch der „allgemeinen Verwaltungsvorschriften“ als einer ausreichenden
Grundlage für Steuervergütungen und Steuerermäßigungen gedenkt, so ist
die Kompetenz des Bundesrats, Ausnahmebestimmungen zu erlassen, durch
die Verfassung nicht ausgeschlossen. Jedoch sind durch neuere Reichsgesetze