VII. Eisenbahnwesen. Art. 42. 531
Notstandstarifen — Art. 46 — sind „den Eisenbahnverwaltungen“ als Ver-
pflichtung auferlegt. Dafür, daß die Eisenbahnverwaltungen, mögen es Staats-
oder Privatverwaltungen sein, ihren gesetzlichen, nämlich durch die Ver-
fassung ihnen auferlegten Verpflichtungen nachkommen, find in erster Reihe
die Bundesregierungen zu sorgen verpflichtet, und kommen die Bundes-
regierungen dieser Verpflichtung nicht nach, so wird das Aufsichtsrecht des
Reichs praktisch.
Bei dem Verbot der Einräumung von Widerspruchsrechten gegen
Parallel- und Konkurrenzbahnen — Art. 41 Abs. 3 — und dem Gehorsams-
gebot für Anforderungen der Behörden des Reichs inbetreff der Benutzung
der Eisenbahnen zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands — Art. 47 —
handelt es sich um klare verfassungsmäßige Pflichten, deren Erfüllung vom
Reich — eventuell durch Vermittelung der Bundesregierungen — erzwungen
werden kann. Die Anlegung neuer Bahnstrecken im Gebiete von Bundes-
staaten und die Aufstellung einheitlicher Normen für die Konstruktion und
Ausrüstung der für die Landesverteidigung wichtigen Eisenbahnen Bayern
gegenüber, das sonst von Art. 41—46 nicht betroffen wird, erfordern gemäß
Art. 41 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 3 ein Reichsgesetz.
übrig bleibt nur noch die Bestimmung des Art. 45 betr. die Ein-
führung übereinstimmender Betriebsreglements und möglichst gleichmäßiger
und niedriger Tarife. Hier steht dem Reich nach Art. 45 nur das Recht
der Kontrolle und ferner das Recht, aber auch die Pflicht, auf diese Einrich-
tungen hinzuwirken, jedoch keine Zwangsbefugnis zu. Offenbar beruht dies
darauf, daß es sich hier um Einrichtungen handelt, die für das finanzielle
Ergebnis der Eisenbahnen wesentlich find und bei denen das Interesse des
Verkehrs mit dem fiskalischen Interesse der Einzelstaaten als der Inhaber
der hauptsächlichen Bahnverwaltungen kollidiert; hier dem Reiche Zwangs-
befugnisse zugestehen, hieße ihm die Verfügung über fremde Kassen ein-
räumen.
Das Ergebnis ist also: dem Reiche stehen Zwangsbefugnisse zu Gebote
für die Einführung der Einrichtungen, die notwendig find, um die erforder-
liche Betriebssicherheit, die erforderliche quantitative Leistungsfähigkeit der
Bahnen und die erforderliche Schnelligkeit der Beförderung von Personen
und Gütern sicherzustellen, ferner für die im Interesse der Landesverteidigung
notwendige Benutzung der Bahnen, dagegen nur ein Vermittelungsrecht in
Ansehung der Tarifpolitik der Eisenbahnverwaltungen und der Normativ=
bestimmungen, unter denen sie die Beförderung von Personen und Gütern
übernehmen.
Die Abgrenzung ist geboten einmal durch die Rücksichten auf die
Interessen des allgemeinen Verkehrs und der Landesverteidigung, anderer-
seits im Hinblick auf die Tatsache, daß die Staats-Eisenbahnverwaltungen
Landeseinrichtungen und die Privat-Eisenbahnverwaltungen in erster Reihe
dem Hoheitsrecht der Einzelstaaten unterworfen sind.
Fürst Bismarck hat i. J. 1876, also zu einer Zeit, in der die Staats-
Eisenbahnnetze noch nicht annähernd so weit ausgebildet waren wie jetzt und
deshalb die aus den großen Betrieben sich ergebende politische Macht der
Privatverwaltungen unter Umständen eine Gefahr für den Staat bilden
konnte, den Übergang der Eisenbahnen auf das Reich erstrebt, jedoch vergeb-
lich; vgl. v. Poschinger Aktenstücke Bd. 1 S. 200. Der in seinem schriftlichen
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