532 VII. Eisenbahnwesen. Art. 42.
Votum v. 8. Januar 1876 (v. Poschinger a. a. O. 1 S. 204) u. a. angeführte
Grund, daß derselbe Gedanke, der die frühere Zersplitterung der Post in
zahlreiche Territorial-= und Thurn und Taxis'sche Posten als unvereinbar
mit den Ansprüchen des Verkehrs erscheinen ließ, aus noch stärkeren Gründen
seine Anwendung auf den viel größeren Anteil des nationalen Binnenverkehrs,
der den Eisenbahnen zufällt, finde, mag an sich richtig sein, aber es handelt
sich bei den Eisenbahnen um politische Momente, die noch stärker als bei
der Post dahin wirkten, den bestehenden Zustand aufrecht zu erhalten, und
nachdem jetzt der bei weitem größte Teil der Eisenbahnen zu Staats-
betrieben geworden ist, fallen auch die Besorgnisse fort, die früher eine
Rolle spielten, daß die Interessen der Landesverteidigung und des Verkehrs
durch eine übermäßige finanzielle Ausnutzung der Bahnbetriebe geschädigt
würden. Auch die Bedenken des Fürsten Bismarck, daß die Organe des
Reichs wegen der etwas unbestimmten Ausdrucksweise der Reichsverfassung
keine genügende Handhabe finden würden, die Ausführung der Vorschriften
der Verfassung durchzusetzen, haben durch die Einrichtung des Reichs--Eisen-
bahnamts viel von ihren tatsächlichen Unterlagen verloren, namentlich in
Ansehung des Verhältnisses zu den Privat-Eisenbahnen; vgl. die Aus-
führungen des Fürsten Bismarck in den Reichstagssitzungen v. 17. und
28. Mai 1873 St.B. 711 und 875. Durch das Ges. v. 27. Juni 1873 find
die Kompetenzen des Reichs-Eisenbahnamts nach der materiellen Seite nicht
über die Befugnisse ausgedehnt, die dem Reich durch Art. 41—47 verliehen
sind, abgesehen davon, daß nach § 5 Ziff. 1 des Ges. dem Reichsamt den
Privateisenbahnen gegenüber zur Durchführung seiner Verfügungen dieselben
Befugnisse zustehen, die den Aufsfichtsbehörden der betreffenden Bundesstaaten
beigelegt find, während im übrigen das Reichs-Eisenbahnamt nur die dem
Reichskanzler durch Art. 17 R.V. übertragenen Funktionen wahrzunehmen
hat, die einen unmittelbaren Eingriff der Reichsgewalt höchstens dann
gestatten, wenn in den Einzelstaaten Auffichtsbehörden mit konkurrierenden
Befugnissen nicht vorhanden sind; vgl. auch § 5 Ziff. 2 des Gesetzes. Die
Bestimmung des § 4 Ziff. 2, wonach das Reichs-Eisenbahnamt für die Aus-
führung der in der Reichsverfassung enthaltenen Bestimmungen Sorge zu
tragen hat, kann sich auf Art. 45 nur in den dort vorgesehenen Grenzen
beziehen, sodaß in Ansehung des Tarifwesens das Reichsamt nur eine Ein-
wirkung auf die Einzelstaaten und deren Bahnverwaltungen versuchen kann.
Kann danach das Reichs-Eisenbahnamt auch nicht in allen Fällen An-
ordnungen mit verpflichtender Kraft treffen, insbefondere nicht in den Fragen,
welche die Wirtschaftspolitik der Eisenbahnverwaltungen betreffen, so hat
es doch in technischen Angelegenheiten einen umfassenden Wirkungzskreis,
d. h. in Angelegenheiten des Baus und der Ausrüstung der Eisenbahnen
sowie ihres ganzen technischen Betriebs und vor allem in der Durchführung
der militärischen Anforderungen, die an die Leistungsfähigkeit der Bahnen
für die Zwecke der Landesverteidigung gestellt werden; in allen diesen Fragen
ist das Reichs-Eisenbahnamt der Ausgangspunkt für die Schaffung der
technischen Einheit im deutschen Eisenbahnwesen geworden.
Das Reichs-Eisenbahnamt führt seine Geschäfte unter Verantwortlichkeit
und nach den Anweisungen des Reichskanzlers, abgesehen von den Fällen,
in denen es unter Zuziehung von richterlichen Beamten über Rechtsfragen
entscheidet; 8 3, 5 Ziff. 4 des Ges.