Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

538 VII. Eisenbahnwesen. Art. 45. 
Notstandstarife nach Art. 46 R.V., und deshalb können nach außen die 
Organe des Reichs eine Verantwortung für die Tarifpolitik der Bahn- 
verwaltungen weder übernehmen noch darf ihnen eine solche Verantwortung 
auferlegt werden; ebenso Laband III S. 116ff., Zorn II S. 310, Hänel Staats- 
recht 1 S. 657 #. und v. Seydel S. 277ff. Den gleichen Standpunkt hat die 
Reichsverwaltung auch in neuerer Zeit festgehalten; vgl. die Ausführungen 
des Präfidenten des Reichs-Eisenbahnamtes Schulz in der Reichstagssitzung 
v. 9. März 1900 St. B. 4702. In Ansehung der Privatbahnen hat Fürst 
Bismarck in einem Zirk-Schreiben an die deutschen Bundesregierungen 
v. 29. Jan. 1869 (v. Poschinger Aktenstücke ! S. 123) empfohlen, die Durch- 
führung des im Art. 45 vorgesehenen Einpfennig-Tarifs in geeigneten Fällen 
zu einer Bedingung der Konzessions-Erteilung zu machen. Natürlich versagt 
dieses Mittel gegenüber den Staatsbahnen. Ob es auf Grund des Art. 4 
Ziff. 8 zulässig wäre, die Tarife im Wege eines Reichsgesetzes zu regeln, 
ist eine andere Frage; Fürst Bismarck hat sie in mehreren Schreiben an 
den Bundesrat und an preußische Staatsminister i. J. 1879 bejaht; vol. 
v. Poschinger Fürst Bismarck als Volkswirt 1 S. 187, 199 und Aktenstücke I 
S. 30|1 ff. 
II. Übereinstimmende Betriebsreglements. 
Maßgebend ist jetzt die Verkehrsordnung v. 26. Okt. 1899 R. G. Bl. 
S. 557, die vom Bundesrat unter Berufung auf Art. 45 erlassen worden 
ist. In Ansehung der Gültigkeit der Verkehrsordnung bleiben zwei Fragen 
zu beantworten, einmal die Frage der Kompetenz des Reichs und bei deren 
Bejahung noch die Frage der Kompetenz des Bundesrats. Der Bundesrat 
hat die Verordnung unter Berufung auf Art. 45 erlassen. Die Kompetenz 
des Reichs ist deshalb auf diese Bestimmung und nicht etwa auf das Handels- 
gesetzbuch gegründet worden, das an einigen Stellen auf die Verkehrsordnung 
verweist. Wie zu! dargelegt, besitzt das Reich nach dem vom Bundesrat 
selbst eingenommenen Standpunkt kein Recht zu Anordnungen auf dem 
Gebiete der Tarifpolitik, sondern nur das Recht zur Kontrolle und zu einer 
„Einwirkung.“ Dieser Auffassung allein entspricht der Wortlaut des Art. 45 
und der Wortlaut des Art. 45 verlangt es, daß dasselbe für die Betriebs- 
reglements gilt, da Tarife und Betriebsreglements in gleicher Abhängigkeit 
von dem die Kompetenz des Reichs regelnden Vordersatz des Art. 45 stehen; 
darauf deutet auch eine Außerung des Abg. Michaelis in der Sitzung des 
konst. Reichstags v. 1. April 1867 St. B. 504 hin. Die Zuständigkeit des 
Reichs zum Erlaß der Verkehrsordnung kann also nicht unmittelbar auf 
Art. 45 gestützt werden. Wenn gleichwohl der Bundesrat die Zuständigkeit 
des Reichs auf Grund des Art. 45 in Anspruch nimmt, so bleibt als ein- 
zige Lösung die Annahme übrig, daß dem Reich die Kompetenz von sämt- 
lichen an sich zuständigen Bundesregierungen übertragen ist. Dabei handelt 
es sich aber nicht um einen der Fälle, in denen der Bundesrat die Ver- 
ordnung nicht selbst erläßt, sondern nur vermittelt, daß in allen Bundes- 
staaten übereinstimmende Verordnungen erlassen werden. Dies ist stets 
zulässig, auch in Angelegenheiten bei denen die Kompetenz des Reichs über- 
haupt nicht berührt wird. Wäre ein solcher Fall hier gegeben, so könnte 
es nicht der Bundesrat sein, der die Verkehrsordnung erläßt. Vielmehr 
kann man davon ausgehen, daß es dem klaren Zweck und Sinn des Art. 45 
nicht widerspricht, wenn die Landesregierungen auf eine ihnen an sich noch
	        
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