540 VII. Eisenbahnwesen. Art. 45.
wie der Wortlaut ihres Eingangs ergibt. Deshalb erübrigt sich die Frage,
ob ihr auch die Eigenschaft einer Ausführungsvorschrift zum Handelsgesetz-
buch zugesprochen werden könnte. Durch die ausdrückliche Anerkennung im
Handelsgesetzbuch aber wird dem Einwand vorgebeugt, daß diese vom Bundes-
rat erlassene Verordnung in eine reichsgesetzlich geregelte Materie, nämlich
das Handelsrecht, eingreife. Daß im übrigen durch die neuen Bestimmungen
des Handelsgesetzbuchs an der auf der Reichsverfassung beruhenden Kom-
petenz des Bundesrats zum Erlaß der Verkehrsordnung nichts geändert
wird, ist auch in der Denkschrift des Reichs-Justizamts zum Handelsgesetz-
buch S. 272 anerkannt. Gegen die Gültigkeit der Verkehrsordnung ist
insbesondere Laband III S. 121 ff. und in d. D. Jur. Zeit. 1900 S. 309 so-
wie 1901 S. 61 auf Grund seiner Anschauung, daß der Bundesrat ohne
besondere gesetzliche Ermächtigung Rechtsvorschriften nicht erlassen dürfe; für
die Gültigkeit ist Arndt Kommentar S. 268 und Harburger, Kaufmann,
Mode, letztere drei in d. D. Jur. Zeit. 1901 S. 59, 185; 1904 S. 1084
auf Grund der Ansicht, daß im Handelsgesetzbuch dem Bundesrat still-
schweigend die Ermächtigung gegeben sei, die Verkehrsordnung als Aus-
führungsvorschrift zum Handelsgesetzbuch zu überlassen, (ebenso auch Reincke
S. 224 f.) eine Anschauung, die allerdings mit dem eigenen, im Eingang
der Verkehrsordnung zum Ausdruck kommenden Standpunkt des Bundesrats
nicht im Einklang steht.
Die Erstreckung des bayrischen Reservats auf die Verkehrsordnung hat
nominell zur Folge, daß die im Handelsgesetzbuch angeführten Ergänzungs-
vorschriften, je nach dem Landesrecht, das anzuwenden ist, verschieden lauten
können. Aber hieraus ergibt sich kein staatsrechtliches Bedenken. Derselbe
Fall ist überall gegeben, wo auf dem Gebiete des reichsgesetzlich geregelten
Privatrechts die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung für ergänzende Vor-
schriften erhalten ist.
III. Die Herabsetzung und Gleichmäßigkeit der Tarife.
Der Bestimmung des Art. 45 Ziff. 2 über die Tarifpolitik der Bahn-
verwaltungen liegen zwei einander widerstreitende Prinzipien zugrunde,
zwischen denen offenbar die mittlere Linie gesucht und auch gefunden worden
ist. Bei der Emanation der Reichsverfassung herrschte schon die vom Fürsten
Bismarck oft kundgegebene Anschauung vor, daß die Eisenbahnen nicht ledig-
lich ein Gegenstand finanzieller Ausbeutung sein dürften und nicht dazu
bestimmt seien, daß durch ihre Verwaltung unter fiskalischen Gesichtspunkten
der höchstmögliche Nutzen herausgeschlagen würde, sondern im Dienst des
allgemeinen Verkehrs ständen und den wirtschaftlichen Interessen aller Kreise
der Bevölkerung gerecht werden müßten; vgl. Fürst Bismarck in der Sitzung
des Abgeordnetenhauses v. 26. April 1876 St. B. 1047 und v. Poschinger
Fürst Bismarck als Volkswirt ! S. 187. Auf diesem Standpunkt beruht
die Einführung der Bestimmung, welche die möglichste Gleichmäßigkeit und
Herabsetzung der Tarife zum Ziele hat. Andererseits konnte nicht daran
gedacht werden, den Gewinn, den die Eisenbahnen bisher abwarfen, durch
die erzwungene Einführung einer bis auf die Selbstkosten herabgehenden Er-
mäßigung der Tarife aufzuheben, zumal damals die Bahnbetriebe noch zum
wesentlichen Teil Privatunternehmungen waren und deshalb besorgt werden
mußte, daß das für diese Betriebe an sich zur Verfügung stehende beweg-