558 IX. Marine und Schiffahrt. Art. 53.
Bund und das Reich errichtet wurde, besaß nur Preußen eine Kriegsmarine,
die verhältnismäßig unbedeutend war. Art. 53 bezog sich bei der Gründung
des Reichs weniger auf vorhandene Einrichtungen als auf ein Programm,
das Programm, dem Deutschen Reiche die durch die Entwicklung anderer
europäischer Großmächte notwendig gewordene Deckung auch auf dem Meere
zu geben. Deshalb war für die Einrichtung der Flotte nicht mit Tradi-
tionen, nicht mit dynastischen Empfindungen zu rechnen; es lagen keinerlei
Momente vor, die der jeder militärischen Einrichtung innewohnenden Tendenz
zur Zentralisation hätten entgegenwirken können. Andererseits wäre der Stand-
punkt nicht gerechtfertigt, daß in Ansehung der Marine das Reich nur die
Geschäfte Preußens besorge. Die Flotte hat wenigstens jetzt und schon seit
längerer Zeit nicht mehr allein die Aufgabe der Verteidigung der preußischen
Seeküste und der wenigen sonst noch beteiligten deutschen Küstenstaaten, sondern
sie ist der notwendige Schutz für den deutschen überseeischen Handel, an
dem alle Bundesstaaten beteiligt sind, und diese Politik, die übrigens nicht
ohne lebhaftes Drängen breiter Volkskreise sich vollzogen hat, erforderte
eine Kontinuität in der Entwicklung der Marine, die nicht von den Schwan-
kungen der Tagespolitik abhängig sein durfte. Theoretisch ist der Reichstag
berechtigt, wie jede andere Ausgabe, so auch das ganze Marinebudget oder
willkürlich herausgegriffene Teile abzulehnen. Wenn auch praktisch mit
einer solchen Möglichkeit nicht zu rechnen ist, so besteht oder bestand doch
die Gefahr, daß die gleichmäßige Entwicklung, die ein groß angelegtes, auf
viele Jahre hinaus berechnetes Marineprogramm erfordert, dadurch gestört
werden kann, daß für die Bewilligung der für Neubauten und Neu-
einrichtungen alljährlich notwendigen Mehrausgaben, die eine erst im
Werden begriffene Marine verlangt, nicht immer im Reichstag dieselbe
Geneigtheit besteht. Um nach dieser Richtung sicher zu gehen und die
Flotte von vorübergehenden politischen Strömungen unabhängig zu machen,
haben sich die Verbündeten Regierungen mit dem Reichstag über das Flotten-
programm geeinigt, und zwar zuerst durch das Gesetz v. 10. April 1898
R.G.Bl. S. 165, darauf durch das Gesetz v. 14. Juni 1900 R.G. Bl. S. 255,
das durch die Gesetze v. 5. Juni 1906 R.G. Bl. S. 729 und v. 6. April 1908
R.G. Bl. S. 147 ergänzt wurde. Durch diese Gesetze ist der Schiffsbestand
der deutschen Flotte festgestellt, und zwar sowohl die Einteilung der Flotte
wie die hauptsächlichen Gattungen der Schiffe, die Zahl jeder Gattung, die
Zeit, die bis zu ihrem Ersatz durch Neubauten zu verstreichen hat, die
Zeit ihrer Indienststellung und die Besatzung. Nach § 5 unterliegt die
Bereitstellung der zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Mittel der
jährlichen Festsetzung durch den Reichshaushaltsetat und nach § 6 soll,
soweit vom Rechnungsjahr 1901 ab der Mehrbedarf an fortdauernden und
einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats der Marineverwaltung den
Mehrertrag der Reichsstempelabgaben über die Summe von 53708000 .4
hinaus übersteigt und der Fehlbetrag nicht in den sonstigen Einnahmen des
Reichs seine Deckung findet, dieser Fehlbetrag nicht durch Erhöhung oder
Vermehrung der indirekten, den Massenverbrauch belastenden Reichsabgaben
aufgebracht werden. Die letztere Bestimmung steht im Zusammenhang damit,
daß gleichzeitig mit dem Flottengesetz v. 14. Juni 1900 ein Gesetz betr.
Abänderung des Reichsstempelgesetzes v. 27. April 1894 R.G.Bl. 1900 S. 260,
das eine Erhöhung der Reichsstempelabgaben einführte, in Kraft getreten