IX. Marine und Schiffahrt. Art. 53. 559
ist. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung ist sehr gering. Denn
natürlich ist durch die Vorschrift des § 6 eine Erhöhung oder Vermehrung
der indirekten, den Massenverbrauch belastenden Reichsabgaben dann nicht
ausgeschlossen, wenn das Bedürfnis zur Vermehrung der Einnahmen des
Reichs nicht oder nicht allein aus den Ausgaben für die Marine entspringt.
Unter diesem Gesichtspunkt stand es mit dem durch § 6 aufgestellten Pro-
gramm nicht im Widerspruch, daß durch das Gesetz betr. die Ordnung des
Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld v. 3. Juni 1906 R. G. Bl.
S. 620 und durch die Finanzreform von 1909 neue indirekte, den Massen-
verbrauch belastende Steuern eingeführt und bestehende Steuern dieser Art
erhöht wurden (Branntwein-, Bier-, Tabak-, Zigaretten-, Leuchtmittel- und
Zündholzsteuer, Kaffee-- und Teezoll).
Das Flottengesetz, das in Ansehung seines für einen längeren Zeitraum
festgelegten Schiffsbau-Programms allerdings eine gewisse Bindung des
Ausgabenbewilligungsrechts des Reichstags enthält, stellt formell keine
Abänderung des Art. 69 R.V. dar, wonach alle Ausgaben des Reichs für
jedes Jahr veranschlagt und auf den durch ein Gesetz festzustellenden Reichs-
haushalts-Etat gebracht werden müssen. Dieser Bestimmung ist durch § 5
des Flottengesetzes Rechnung getragen. Die aus dem Flottengesetz sich
ergebenden Mehrausgaben für Schiffsneubauten werden wie alle anderen
Ausgaben in den Etat eingestellt und bedürfen — ungeachtet dessen, daß
sie durch das Flottengesetz bereits im voraus bewilligt sind — der noch-
maligen Bewilligung im Etatsgesetz für jedes Jahr; sie könnten im Etats-
gesetz z. B. unter dem Gesichtspunkt, daß die durch das Flottengesetz nicht
festgelegten Kosten für das einzelne Schiff zu hoch seien oder daß die ge-
forderten Neubauten über den Rahmen des Flottengesetzes hinausgingen,
beanstandet werden. Formell ist der Reichstag natürlich auch ohne Gründe
anzugeben in der Lage, die durch das Flottengesetz notwendig gewordenen
Mehrausgaben wie jede andere Position des Etats zu streichen. Aber
tatsächlich und bei Wahrung der Rücksfichten, ohne welche die praktische
Politik nicht geführt werden kann, ist, solange das Flottengesetz in Kraft
bleibt, der Reichstag ebenso an die Bewilligung der Mehrausgaben
gebunden, welche die Durchführung des von ihm angenommenen Flotten-
programms erfordert, wie die Reichsverwaltung sich selbst gebunden hat,
für die Dauer des Flottengesetzes darüber hinausgehende Ansprüche nicht
zu stellen.
sin Bestimmungen des Flottengesetzes erschöpfen natürlich nicht alle
Bedürfnisse der Marineverwaltung. Offen bleibt die Frage der Kosten für
die einzelnen Schiffsklassen, nichts ist über die Schiffe geringeren Umfangs
bestimmt, z. B. Torpedoboote, Unterseeboote, Schulschiffe und Minenschiffe,
ferner ist nichts vorgeschrieben über die Unterhaltungskosten, die für den
einzelnen Mann der Besatzung aufzuwenden sind, und ebensowenig über die
Kopfstärke der Besatzung und ihre Gliederung in die einzelnen Chargen,
aber es find für die Ausgaben, welche die Reichsverwaltung fordern und
der Reichstag nicht ablehnen darf, ähnliche Grundlagen geschaffen, wie für
das Landherr durch die Festsetzung der Friedenspräsenzstärke und der Zahl
der Kadres. Eine wechselseitige Bindung solcher Art war übrigens schon
im konst. Reichstage (Sitzung v. 8. April 1867 St. B. 626 Abg. Erxleben)
auch für die Marine angeregt worden.