XI. Reichskriegswesen. Art. 59. 577
Artikel 59.
Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der Regel
vom vollendeten zwanzigsten bis zum beginnenden achtundzwanzigsten Lebens-
jahre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebensjahre der Landwehr
ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März des Kalenderjahrs, in
welchem das neununddreißigste Lebensjahr vollendet wird, der Landwehr
zweiten Aufgebots an.
Während der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heere sind die
Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie die ersten drei,
alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununnterbrochenen
Dienste bei den Fahnen verpflichtet.
Inbezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich die-
jenigen Bestimmungen maßgebend sein, welche für die Auswanderung der
Landwehrmänner gelten.
Art. 59, der gemäß III § 5 des Vertrages v. 23. Nov. 1870 B. G. Bl.
1871 S. 9 ff. auch für Bayern gilt, enthält in Ergänzung des Grundsatzes,
den Art. 57 für die allgemeine Wehrpflicht gibt, nähere Bestimmungen über
die Erfüllung der Wehrpflicht und ihre Einteilung in einzelne Abschnitte,
deren Unterscheidung auf militärtechnischen Gesichtspunkten beruht. Der
Dienst bei dem stehenden Heere, der in den Dienst bei den Fahnen und
bei der Reserve zerfällt, der Dienst bei der Landwehr ersten und zweiten
Aufgebots, zu welchem nach dem Ges. betr. die Verpflichtung zum Kriegs-
dienst v. 9. Nov. 1867 B. G. Bl. S. 131 noch der Dienst bei dem Landsturm
hinzukommt, unterscheiden sich voneinander durch die Art der militärischen
Verwendung der wehrpflichtigen Personen.
Nach der ursprünglichen Fafsung des Art. 59 war der Dienst bei der
Landwehr ohne Unterscheidung zwischen Landwehr 1. und 2. Aufgebots auf
fünf Jahre und die Dienstpflicht bei den Fahnen für alle Truppengattungen
auf drei Jahre bemessen. Die Einführung der Landwehr 2. Aufgebots
beruht auf dem Gesetz betr. Anderung der Wehrpflicht v. 11. Febr. 1888
R.G.Bl. S. 11. Die zwejijährige Dienstzeit für die nicht zur Kavallerie
und zur reitenden Feldartillerie gehörigen Mannschaften ist zunächst ohne
ausdrückliche Anderung des Art. 59 durch Art. II § 1 des Ges. betr. die
Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres v. 3. August 1893 R. G. Bl.
S. 233 eingeführt worden. Die Geltung dieses Gesetzes war ursprünglich
auf die Zeit v. 1. Okt. 1893 bis 31. März 1899 beschränkt. Durch Gesetz
betr. die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres v. 25. März 1899
R.G. Bl. S. 213 ist die Geltung der Bestimmung bis zum 31. März 1904
verlängert worden; eine weitere Verlängerung bis zum 31. März 1905
wurde durch das Ges. v. 22. Febr. 1904 R.G.Bl. S. 65 bestimmt und das
Ges. betr. änderung der Wehrpflicht v. 15. April 1905 R.GG. Bl. S. 249
brachte die endgültige Einführung der zweijährigen Dienstzeit für alle
Mannschaften, ausgenommen die der Kavallerie und der reitenden Feld-
artillerie, und die jetzige Fassung des Art. 59.
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 37