588 XI. Reichskriegswesen. Art. 61.
Mannschaftszahl bis zum Jahre 1910 vorgesehen find, ist eine über diesen
Zeitpunkt erheblich hinausgehende Dauer seiner Gültigkeit nicht in Aussicht
genommen. Denn nach den bisherigen Erfahrungen kann — namentlich
im Hinblick auf die militärische Entwicklung der Nachbarstaaten — nicht
erwartet werden, daß es in absehbarer Zeit möglich sein wird, ohne eine
mit dem Wachstum der Bevölkerung — wenn auch nicht notwendig im
gleichen Verhältnis — zunehmende Ziffer der Friedenspräsenz auszukommen.
Aber der wesentliche Unterschied zwischen dem jetzt geltenden und dem
früheren Rechtszustande beruht darin, daß früher nach Ablauf der Geltungs-
dauer des Gesetzes die Regierungen sich auf das Gesetz nicht berufen konnten,
während jetzt die in dem Gesetz von 1905 als Maximum bestimmte, i. J.
1910 zu erreichende Durchschnittsstärke der Friedenspräsenz von 505 839 Mann
als Minimum festgelegt ist, das durch ein bestehendes, in seiner Gültigkeit
zeitlich nicht beschränktes Gesetz begründet, nur durch ein neues Gesetz, also
nur mit der verfassungsmäßigen Zustimmung der Verbündeten Regierungen
und nicht gegen den Widerspruch Preußens aufgehoben werden kann. Es
ist jetzt zum ersten Male für die volle Durchführung eines militärisch sehr
wesentlichen Faktors gesorgt worden, nämlich für die dauernde Integrität
der durch das Gesetz von 1905 neu begründeten Kadres. Das Moment,
daß neu begründete Kadres ihre volle Wirksamkeit für die Vermehrung der
Kriegsstärke erst nach längerer Zeit entfalten können und daher in ihrem
Bestande möglichst dauernd sichergestellt werden müssen, hat namentlich Graf
Moltke bei der Septennatsvorlage. von 1887 in der Reichstagssitzung v.
11. Jan. 1887 geltend gemacht. Ubrigens weist die Verfassung selbst auf ein
Aternat hin, da fie im Art. 60 die Feststellung der Friedenspräsenz im Wege
der Gesetzgebung schlechthin vorschreibt, während Gesetze, deren Dauer von
vornherein begrenzt ist, eine Ausnahme bilden, die nicht vermutet werden kann,
zumal wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, bei der das Bedürfnis
nach gesetzlicher Regelung dauernd besteht. Auch vom konstitutionellen
Gesichtspunkt aus ist die gesetzliche Festlegung der Friedenspräsenz jedem
anderen Zustande vorzuziehen; ohne fie würde nach dem vom Fürsten
Bismarck in der Reichstagssitzung v. 11. Jan. 1887 St. B. 341 und vom
Abg. Graf Bethusy-Huc in der Sitzung des konst. Reichstags v. 9. April 1867
St. B. 644, in der Literatur u. a. von Laband IV S. 84 ff., v. Seydel S. 357,
Arndt S. 515 f. u. a. vertretenen Standpunkt es lediglich Sache des Kaisers
sein, in den durch Art. 57, 59 R.V. gezogenen Grenzen auf Grund des
Art. 68 Abs. 4 R.V. die Friedenspräsenz zu bestimmen; vgl. dagegen die
bei Meyer 8198 A. 13 S. 732 angeführte Literatur.
Artikel 61.
Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Reiche die ge-
samte Preußische Militärgesetzgebung ungesäumt einzuführen, sowohl die
Gesetze selbst, als die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Ergänzung
erlassenen Reglements, Instruktionen und Reskripte, namentlich also das
Militär-Strafgesetzbuch vom 3. April 1845, die Militär-Strafgerichts-
ordnung vom 3. April 1845, die Verordnung über die Ehrengerichte vom
20. Juli 1843, die Bestimmungen über Aushebung, Dienstzeit, Servis= und