52 II. Reichsgesetzgebung. Art. 2.
Reichsgesetzblatts verantwortlich. Die Verantwortlichkeit ist das Korrelat
der Tatsache, daß für alle Untertanen, d. h. die Gerichts- und Verwaltungs-
behörden wie Privatpersonen lediglich der gedruckte Text des Reichsgesetz-
blatts maßgebend ist. Es hat also niemand außer dem Reichskanzler
danach zu forschen, was der Bundesrat und Reichstag beschlossen hat und
ob diese Beschlüsse in dem verkündeten Text ihren richtigen Ausdruck er-
halten haben; ebenso in der Hauptsache Laband II S. 51, Meyer S. 568.
Die Ausfertigung der Gesetzesurkunde wird gemäß Art. 17 R. V. vom
Kaiser unterschrieben und vom Reichskanzler gegengezeichnet. Es ist üblich,
die Unterschriften im Reichsgesetzblatt ebenfalls abzudrucken, doch ist es nicht
in allen Fällen geschehen, z. B. vereinzelt nicht bei der nachträglichen
Berichtigung von Gesetzestexten. Laband II S. 54 hat das Fehlen der Unter-
schrift für verfassungswidrig erklärt. Der Staatssekretär des Reichsjustizamts
Nieberding hat in der Reichstagssitzung v. 29. März 1898 St. B. 18680D
das Verfahren durch den Hinweis darauf gerechtfertigt, daß der Reichskanzler
für die Richtigkeit des Reichsgesetzblattes überhaupt verantwortlich sei, und
das Reichsgericht (1. Cs. Urt. v. 16. Febr. 1898 Bd. 41 S. 32) hat die
Gültigkeit des Verfahrens nicht beanstandet. Mit Recht! Für die Er-
reichung des Zwecks der Verkündigung genügt es, den bestimmenden Teil
des Gesetzes abzudrucken. Dadurch erfahren die Behörden und Privat-
personen alles, was fie zur Anwendung und Befolgung des Gesetzes wissen
müssen. Die Unterschrift des Originals des Gesetzestextes gehört in das
Gebiet der Formalien, bezüglich deren der oben entwickelte Satz gilt, daß
der Kaiser, indem er unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers den
Gesetzestext verkündet, bezeugt, daß die zum Zustandekommen des Reichs-
gesetzes erforderlichen Formvorschriften gewahrt sind. Eine gedruckte Unter-
schrift ist juristisch überdies bedeutungslos. Sie hat jedenfalls nicht mehr
Wert, als das Zeugnis des Reichskanzlers, daß die erforderlichen Unter-
schriften im Original geleistet sind, und dieses Zeugnis liegt implicite darin,
daß Anordnungen, die an die Untertanen — Behörden wie Privatpersonen —
gerichtet find, im Reichsgesetzblatt als Gesetze verkündet werden.
Jc) Die Berichtigung von Druck= und Redaktionsfehlern.
aa) Druckfehler.
Wenn der verkündete Gesetzestext infolge eines Druckfehlers nicht dem
Original, das dem Druck zugrunde liegt, d. h. der Ausfertigung entspricht,
so ist es — wie überall — Sache des für den gedruckten Text verant-
wortlichen Redakteurs, also hier des Reichskanzlers, durch eine Berichti-
gung die Unstimmigkeit zwischen Urschrift und Druck aus der Welt zu
schaffen. Dies ist unbestritten. Mehr zweifelhaft liegt der Fall bei einem
bb) Redaktionsfehler.
Ein solcher liegt vor, wenn der Irrtum schon in der Ausfertigung
des Gesetzestextes enthalten ist, und dies ist in der Regel dann der Fall,
wenn der Fehler sich bereits in den Beschlüssen des Bundesrats und
Reichstages findet und deshalb in dem Text, der aus den Verhandlungen
des Bundesrats und Reichstags als übereinstimmender Beschluß der beiden
Körperschaften hervorgeht, nicht das erklärt ist, was diese Körperschaften
gewollt haben, so daß ein Widerspruch zwischen Wille und Erklärung vor-