596 XI. Reichskriegswesen. Art. 62.
standslos, denn der Etat wird in Ansehung der Einnahmen nach den durch
Art. 70 vorgeschriebenen Grundsätzen gebildet, und danach werden die eigenen
Einnahmen des Reichs nicht durch die im Art. 62 genannten Beiträge,
sondern durch die im Art. 70 vorgesehenen Matrikularbeiträge ergänzt, die
als allgemeine Zuschüsse zur Füllung der Reichskafse aufzufassen find und
in keiner besonderen Beziehung zur Militärverwaltung stehen. Daraus er-
klärt es sich, daß die im Art. 62 genannten Beiträge nie erhoben wurden,
ausgenommen in der Periode, in welcher die Ausgaben der Militärverwaltung
nur nominell in den Etat eingestellt wurden. Dagegen könnte, wenn das
Etatsgesetz einmal nicht zustande kommen und deshalb für die Ausschreibung
von Matrikularbeiträgen die verfassungsmäßige Grundlage fehlen sollte, auf
diese durch keine positive Bestimmung aufgehobene Vorschrift des Art. 62
Abs. 2 zurückgegriffen werden, und in Verbindung mit den eigenen Einnahmen
des Reichs würden diese Beiträge allerdings voraussichtltch zur Befriedigung
aller Bedürfnisse ausreichen, da sie, wenn man eine Friedenspräsenz von
500 000 Mann annimmt, 337½ Millionen betragen und auf den Reichs-
etat so wirken würden, wie jetzt die gleiche Summe ungedeckter Matrikular-
beiträge. Kommt ein Etatsgesetz nicht zustande, so sind freilich der Reichs-
verwaltung auch die Einnahmen nicht bewilligt, aber sie hat die tatsächliche
Verfügungsgewalt über die Einnahmen; natürlich würde es bei der jetzigen
Lage des Etats nicht notwendig sein, die Beiträge auch nur annähernd in
ihrem vollen Umfange zu erheben, denn die Überweisungen von Steuer-
erträgen an die Einzelstaaten würden mangels eines Etatsgesetzes, das zu
ihrer Feststellung notwendig ist, auch in Wegfall kommen. Wenn aber
selbst ohne Etatsgesetz die Zuschußpflicht der Einzelstaaten bestehen bleibt,
so würde die parlamentarische Grundlage des Konflikts vom Reich nach
den Einzelstaaten verschoben werden, und dies könnte vielleicht zur Lösung
des Konflikts beitragen. Es ist nicht zu verkennen, daß in dieser Konstruk-
tion ein künstliches, dem normalen Gang der Maschinerie des Reichs, wie
ihn die Verfassung voraussetzt, fremdes Element liegt, aber wenn es sich
darum handelt., für ganz außerordentliche Verhältnisse, wie sie bei dem
Scheitern des Etatsgesetzes entstehen müssen, nach irgend einer verfassungs-
mäßigen Grundlage für die Fortführung der Reichsgeschäfte zu suchen, wird
man auch an diese Konstruktion denken können, denn wenn wenigstens für die
Existenz der für die Verwaltung des Reichs erforderlichen Mittel gesorgt ist,
so ist die tatsächliche Möglichkeit zur Fortführung der Geschäfte gegeben und
anstelle der bei dem Mangel der Ausgabenbewilligung fehlenden rechtlichen
Unterlagen der Verwaltung tritt die volle politische Verantwortung, welche
die leitenden Staatsmänner dafür übernehmen, daß sie das getan haben,
was der Notstand des Reichs erfordert hat. Konstitutionellen Bedenken
gegenüber ist übrigens zu bemerken, daß im Sinne der Verfassung der
Reichstag die freie Disposition über die Armee auch auf Grund des Etats-
gesetzes nicht besitzt; er kann nur Neueinrichtungen und Mehrausgaben ab-
lehnen, die in dem vorausgegangenen Etat nicht vorgesehen waren. Auch
die Parlamente der Einzelstaaten haben vor der Gründung des Reichs ent-
sprechende Rechte nur nominell besessen, weil seit der Gründung des Deutschen
Bundes in militärischer Beziehung die Einzelstaaten auf die Ausführung
der ohne Mitwirkung der Volksvertretung gefaßten Beschlüsse des Bundes
angewiesen waren; vgl. die Ausführungen des Abg. v. Watzdorf, Staats-