Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XI. Reichskriegswesen. Art. 68. 617 
„Die Voraussetzungen, unter welchen wegen Bedrohung der öffentlichen 
Sicherheit das Bundesgebiet oder ein Teil desselben durch den Bundesfeld- 
herrn in Kriegszustand erklärt werden kann, die Form der Verkündung und die 
Wirkungen einer solchen Erklärung werden durch ein Bundesgesetz geregelt.“ 
Da dieses Reichsgesetz bisher nicht ergangen ist, so besteht das bayrische 
Reservat noch zu Recht, und es ist nur eine Frage des bayrischen Landes- 
rechts, ob und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Wirkungen 
dort der Kriegszustand erklärt werden darf. 
Der Kaiser hat das Recht, die ihm zustehende Befugnis zu delegieren, 
z. B. an den Reichskanzler oder an Militärbehörden. Die streitige Frage — 
vgl. Laband IV S. 41 A. 1 und die dort angeführte Literatur — ob mili- 
tärische Befehlshaber, Festungskommandanten usw. das Recht haben den 
Kriegszustand zu erklären, dürfte für die im §§ 1, 2 des preuß. Ges. v. 4. Juni 
1851 genannten Fälle zu bejahen sein, wonach für den Fall eines Krieges 
in den vom Feinde bedrohten oder teilweise schon besetzten Provinzen jeder 
Festungskommandant die ihm anvertraute Festung und deren Rayon, der 
kommandierende General den Bezirk seines Armeekorps ganz oder teilweise 
zum Zwecke der Verteidigung in Belagerungszustand erklären kann und 
ferner in Kriegs= und Friedenszeiten für den Fall eines Aufruhrs bei dringen- 
der Gefahr für die öffentliche Sicherheit jeder Bezirk von dem obersten 
Militärbefehlshaber auf den Antrag des Regierungspräsidenten, bei Gefahr 
im Verzuge auch ohne diesen Antrag in Belagerungszustand erklärt werden 
kann. Es ist eingewendet worden, daß durch Art. 68 die Bestimmungen 
des Gesetzes v. 1851 nur insoweit aufrecht erhalten sind, als sie die Vor- 
aussetzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen der Erklärung 
des Kriegszustandes betreffen, nicht aber auch die Bestimmungen, die sich auf 
die Urheberschaft der Erklärung beziehen. Aber einmal ergibt sich diese 
Auslegung mit Sicherheit nicht einmal aus dem Wortlaut des Art. 68, 
weil der Wortlaut auch so aufgefaßt werden kann, daß bis zum Erlaß des 
Reichsgesetzes, dessen allgemeiner Inhalt angegeben ist, „dafür“ das Gesetz 
v. 1851 ohne Einschränkung mit seinen sämtlichen Bestimmungen gilt. Auch 
betreffsen die §§ 1, 2 des Ges. v. 1851 insofern die Voraussetzungen der 
Erklärung des Kriegszustandes, als sie die Frage regeln, welche Machthaber 
darüber zu entscheiden haben, ob diese Voraussetzungen gegeben find. Endlich 
entspricht es, wie Arndt S. 477 mit Recht ausführt, gewiß nicht der dem 
Art. 68 zugrunde liegenden Absicht, die Rechte des Königs von Preußen 
in Ansehung der Erklärung des Belagerungszustandes, bez. die Ausführung 
dieser Rechte einzuschränken und überdies in einer dem praktischen Bedürfnis 
durchaus zuwiderlaufenden Weise, sondern es sollte nur der Übergang dieser 
Rechte von den Bundesfürsten auf den Kaiser herbeigeführt werden. An 
die Stelle des Staatsministeriums, das nach § 2 im Regelfalle zur Er- 
klärung des Belagerungszustandes kompetent ist, würde der Reichskanzler 
treten, weil seine Stellung im Reich, was die Kompetenz zu Maßregeln 
der allgemeinen Verwaltung betrifft, derjenigen entspricht, die in Preußen 
das Staatsministerium innehat. Für Elsaß-Lothringen sind nach dem Ges. 
v. 30. Mai 1892 R. G. Bl. S. 667 beim Kriegsfall den Militärbefehlshabern. 
im Hinblick auf die für einen Kriegsfall besonders exponierte Lage von Elsaß- 
Lothringen noch weitergehende Befugnisse, als sie das preußische Gesetz für 
diesen Fall vorsieht, eingerdäumt worden.
	        
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