618 XI. Reichskriegswesen. Art. 68.
II. Die Boraussetzungen für die Erklärung des Kriegszustandes.
Was das deutsche Recht im Verhältnis zu dem mancher Staaten des
Auslands kennzeichnet, ist der Umstand, daß die Erklärung des Kriegszu-
standes nur in extremen, in der Praxis sehr selten vorkommenden Fällen
ausgesprochen wird. Dies hängt damit zusammen, daß die diskretionären
polizeilichen Befugnisse der Verwaltungsbehörden weit genug bemessen sind,
um für weniger schwere Fälle auszureichen; vgl. v. Treitschke Politik S. 162.
Nach Art. 68 ist die Erklärung des Kriegszustandes zulässig, wenn die
öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiet bedroht ist. Diese Bestimmung
ist durch §§ 1, 2 des preuß. Ges. v. 1851 dahin erläutert, daß der Fall.
der Erklärung des Kriegszustandes einmal gegeben ist, wenn im Falle eines
Krieges Gebietsteile des Reichs vom Feinde besetzt oder auch nur bedroht
find, und ferner in Kriegs= und Friedenszeiten, wenn im Falle eines Auf-
ruhrs dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit entsteht. Der Kriegs-
zustand kann zur Abwehr äußerer wie innerer Feinde verhängt werden; die
Bedenken, die für den letzteren Fall aus der Tatsache hergeleitet werden, daß
die dem Kaiser durch Art. 68 verliehene Befugnis in den Bereich seines
militärischen Oberbefehls fällt und nicht ein Ausfluß seiner Präsidialbefug-
nisse im Reiche ist, erledigen sich dadurch, daß die entsprechenden Bestim-
mungen des Ges. v. 1851 über die Voraussetzungen der Erklärung des
Kriegszustandes ausdrücklich aufrecht erhalten sind. Die Beziehung zu dem
militärischen Oberbefehl ergibt sich daraus, daß innerer Aufruhr ebenso wie
äußere Kriegsgefahr einen Grund für die Ausdehnung der Militärgewalt
auf die Funktionen der Civilbehörden bildet. Die Verbindung zwischen
Krieg und innerem Aufruhr hat übrigens einen Vorgang im 8§9 des Ges.
über das Paßwesen v. 12. Okt. 1867 B. G. Bl. S. 33, wonach die Paßpflicht
allgemein oder in bestimmten Grenzen durch kaiserliche Anordnung vorüber-
gehend eingeführt werden kann, „wenn die Sicherheit des Bundes oder eines
einzelnen Bundesstaats oder die öffentliche Ordnung durch Krieg, innere
Unruhen oder sonstige Ereignisse bedroht erscheint."
III. Die Form der Berkündigung des Kriegszustandes.
Hierüber bestimmt § 3 des Ges. v. 1851:
„Die Erklärung des Kriegszustandes ist bei Trommelschlag und Trom-
petenschall zu verkünden und außerdem durch Mitteilung an die Gemeinde-
behörde, durch Anschlag an öffentlichen Plätzen und durch öffentliche
Blätter ohne Verzug zur allgemeinen Kenntnis zu bringen. Die Auf-
hebung des Kriegszustandes wird durch Anzeige an die Gemeindebehörde
und durch die öffentlichen Blätter zur allgemeinen Kenntnis gebracht.“
Das Gesetz bestimmt nichts über die Folgen, die eintreten würden,
wenn diese vierfache Form der Publikation nicht innegehalten wird. Es ist
deshalb anzunehmen, daß die Vorschrift nur instruktionell ist und daß jede
Form der Bekanntmachung, insbesondere auch nur eine der vier angegebenen
Formen genügt. Dies wird durch eine unwidersprochen gebliebene Bemerkung
des Kommissionsberichterstatters der preußischen Ersten Kammer (St. B. der
I. Kammer 1850/51 S. 173) bestätigt; vgl. v. Rönne I S. 84 A. 2, Arndt
S. 472. Die aus Anlaß des Belagerungszustandes verfügte Suspenfion
von Verfassungsbestimmungen muß gemäß §8 5 Abs. 1 des Ges. besonders
bekannt gemacht werden.