XI. Reichskriegswesen. Art. 68. 619
IV. Die Wirkungen des Kriegszustandes.
Die Wirkung der Erklärung des Kriegszustandes ist die Einführung
einer vorübergehenden Militärdiktatur. Das Ges. v. 1851 bestimmt über
die Einzelheiten folgendes: die vollziehende Gewalt geht an die Militär-
befehlshaber über. Die Civilverwaltungsbehörden und Gemeindebehörden
haben den Anordnungen und Aufträgen der Militärbefehlshaber Folge zu
leisten; letztere find für ihre Anordnungen persönlich verantwortlich (8 4).
Damit find zugleich die Bestimmung des Art. 36 der preuß. Verf. Urk, und
die entsprechenden Bestimmungen anderer Landesverfassungen außer Kraft
gesetzt, wonach die bewaffnete Macht zur Unterdrückung innerer Unruhen
und zur Ausführung der Gesetze nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen
und Formen und auf Requisition der Civilbehörden verwendet werden darf.
Ferner können für die Dauer und den örtlichen Bereich des Kriegszustandes
außer Kraft gesetzt werden: die verfassungsmäßigen Garantien gegen un-
gerechtfertigte Verhaftung, Haussuchung und Beschlagnahme von Papieren,
die Bestimmungen über die Unzulässigkeit von Ausnahmegerichten, die gesetz-
lichen Garantien gegen Beschränkung der Preßfreiheit, die Vorschriften über
Vereins- und Versammlungsfreiheit; vgl. den 8. u. 9. Abschnitt des 1. Buches
der St. P.O., § 16 G.V. G., § 30 des Reichsges. über die Presse v. 7. Mai 1874
R.G.Bl. S. 65 und §§ 1, 23 Abs. 2 des Vereinsges. v. 19. April 1908 R.G. Bl.
S. 151. Diese Bestimmungen entsprechen den im § 4 des Ges. v. 1851 an-
geführten Art. 5, 6, 7, 27, 28, 29 und 30 der preuß. Verf.Urk. Die Militär-
personen stehen während des „Kriegszustandes“ unter den für den wirklichen.
Kriegsfall erlassenen Gesetzen; für fie wie für alle Civilpersonen werden
nach 88 6, 8, 9 des Ges. von 1851 in Verbindung mit Art. 4 des Einf.=
Ges. zum Strafgesetzbuch bei gewissen schweren Fällen von gemeingefährlichen
Verbrechen und Widerstand gegen die Staatsgewalt die sonst angedrohten
Strafen bis zur Todesstrafe geschärft; soweit Art. 4 des Einf.-Ges. z. Str. G. B.
mit § 8 des Ges. v. 1851 nicht übereinstimmt, muß ersterem Gesetz die
Bedeutung eines verfassungändernden Reichsgesetzes beigemessen werden,
denn das Ges. v. 1851 ist infolge der im Art. 68 ausgesprochenen Ver-
weisung als ein Teil der Verfassung anzusehen; vgl. Laband IV S. 43 und
§ 9 des Militär-Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich v. 20. Juni 1872
R.G.Bl. S. 175. Dagegen besteht die Vorschrift des § 9 des Ges. v. 1851,
die einige besondere Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt für die
Zeit und den örtlichen Bereich des Kriegszustandes unter Strafe stellt, noch
zu Recht, weil das Strafgesetzbuch diese Materie nicht geregelt hat und
für solche Delikte keine Strafbestimmungen enthält. §§ 10— 15 des Ges.
v. 1851 betreffen die Zuständigkeit, die Zusammensetzung und das Ver-
fahren vor den Kriegsgerichten, die für die Dauer und den örtlichen Bereich
des Kriegszustandes zur Aburteilung der gegen die öffentliche Ordnung
gerichteten, im 8 10 näher bezeichneten Straftaten zusammentreten. Es ist
streitig, ob diese Bestimmungen, soweit sie die Zusammensetzung und das
Verfahren der Kriegsgerichte betreffen, durch §§ 20, 27 der Militärstraf-
gerichtsordnung v. 1. Dez. 1898 ersetzt find; dafür ist u. a. Laband IV S. 44,
dagegen u. a. Arndt S. 474. Der letzteren Ansicht ist beizutreten. Denn
das Ges. v. 4. Juni 1851 hat grundsätzlich die Zusammensetzung und das
Verfahren wie die Zuständigkeit der nach diesem Gesetz bestellten Kriegs-
gerichte unabhängig von den allgemeinen Vorschriften über die normalen