Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 69. 623 
kein Voranschlag, und daraus ergibt sich ferner, daß kein Dritter, insbesondere 
nicht die Personen, an welche die Zahlungen geleistet werden sollen, Beamte, 
Lieferanten, Unternehmer sich auf den Etat berufen können, um die dort 
für bestimmte Zwecke bezeichneten Zahlungen fordern zu dürfen. Für den 
preußischen Etat ist es durch § 8 des Ges. v. 11. Mai 1898 besonders an- 
erkannt und auch in dieser Frage ist die rechtliche Bedeutung des preußischen 
Etats nicht anders zu beurteilen als die des Reichsetats; vgl. Arndt S. 333, 
405 ff. und Kommentar S. 364, Laband S. 481 f., v. Seydel S. 386f., 
Zorn! S. 445. Ist es sonach nicht eigentlich die Aufgabe des Etatsgesetzes 
spezielle Rechtssätze zum Ausdruck zu bringen, so ist es doch formell nicht 
unzulässig, da die gesetzgebenden Faktoren die Freiheit haben, jedem Gesetz 
jeden beliebigen Inhalt zu geben, und praktisch ist es nicht selten, daß das 
Etatsgesetz, zu welchem der Etat eine Anlage bildet, gewissen Rechtssätzen, 
die sich auf die Finanzwirtschaft des Reichs in dem betressenden Etatsjahr be- 
ziehen, Aufnahme gewährt. Dagegen widerspricht es politisch dem Sinn 
des Etatsgesetzes und damit dem im Art. 69 zum Ausdruck kommenden 
Geist der Verfassung, wenn das Etatsgesetz mit heterogenen Bestimmungen 
verbunden wird, um die Annahme dieser Bestimmungen bei den Verbündeten 
Regierungen als Gegenleistung für die Annahme des Etatsentwurfs durch- 
zusetzen. Denn wenn schon jeder Gesetzentwurf in seiner Eigenschaft als 
ein Vorschlag des einen der beiden gesetzgebenden Faktoren des Reichs nur 
nach den aus ihm selbst sich ergebenden Gesichtspunkten beurteilt werden 
soll, so gilt dies in erhöhtem Maße von dem Entwurf des Etatsgesetzes, 
der nicht bestimmt ist, der Gegenstand einer Machtfrage zwischen Regierung 
und Volksvertretung zu sein, sondern seiner Natur nach auf die einfache 
Überlegung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit für jede einzelne Etatsposition 
hinweist; vgl. die Ausführungen des Grafen Posadowsky-Wehner als Staats- 
sekretär des Reichsschatzamts in der Reichstagssitzung v. 20. März 1896 
St. B. 1611. 
2. Die Gesetzeskraft des Etats erlischt von selbst mit dem Ablauf des 
Etatsjahres; vorher können die Bestimmungen des Etatsgesetzes nur durch 
ein neues Gesetz geändert werden. 
3. Da der Etat nach Art. 69 formell durch ein Gesetz festgestellt wird, 
so finden alle speziellen Vorschriften der Reichsverfassung über den Erlaß 
von Gesetzen auf ihn Anwendung: 
a) Wenn durch den Etat an den bestehenden Einrichtungen des Militär- 
wesens, der Kriegsmarine, der Zölle oder indirekten Steuern etwas geändert 
werden soll, so kann dies nach Art. 5 Abs. 2 durch die Stimme Preußens 
im Bundesrat verhindert werden; ebenso Laband IV S. 483, v. Rönne II 1 
S. 145, Zorn 1 S. 447, Arndt S. 415. 
b) Auch Art. 78 ist auf das Etatsgesetz anwendbar; der Entwurf kann 
also, wenn er eine Anderung der Verfaffung zur Folge haben würde, gegen den 
Widerspruch von 14 Stimmen im Bundesrat nicht angenommen werden, 
und wenn der Entwurf das durch Art. 78 Abs. 2 geschützte Sonderrecht 
eines Einzelstaats verletzt, nicht gegen den Widerspruch dieses Staats; vgl. 
Laband IV S. 484, v. Rönne II 1 S. 157, Arndt S. 415. 
Tc) Die Vorschrift des Art. 7 Abs. 4 R.V. über die Behandlung nicht 
gemeinsamer Angelegenheiten im Bundesrat wird bei dem Etatsgesetz kaum 
zur Anwendung kommen, weil jeder Beschluß, selbst wenn er an sich nur
	        
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