Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 69. 627 
in das andere übertragbar find, und zwar ist dies bei allen Baufonds, 
ferner bei den zu einmaligen Ausgaben bewilligten Fonds und endlich bei 
denjenigen Fonds der Fall, für welche die übertragbarkeit im Etat aus- 
drücklich anerkannt ist. Die von diesen Fonds nicht verwendeten Reste 
bleiben für die beiden nächstfolgenden Jahre ohne Einschränkung neben dem 
laufenden Etatssoll verwendbar, sofern nicht eine ausdrückliche Bemerkung 
zu dem betreffenden Titel die Übertragung auf längere Zeit gestattet. Eine 
Vorschußverwaltung ist nur für diejenigen Kassen zugelassen, die mit Be- 
ständen abschließen dürfen und die dann die Bestände in einer den ge- 
leisteten Vorschüssen entsprechenden Höhe nachweisen. Eine solche Vorschuß- 
verwaltung kommt namentlich bei der Armeeverwaltung vor, die in billigen 
Jahren für die teueren durch Ankauf von Vorräten für die Truppenverpflegung 
Sorge trägt; vgl. Laband IV S. 503ff., v. Rönne II 1 S. 166ff. 
V. Der Zeitpunkt für die Feststellung des Etats. 
Der Etat ist — seiner Natur als Wirtschaftsplan entsprechend — vor 
dem Beginn des Etatsjahres festzustellen. Eine Ausnahme ist durch die Praxis 
für diejenigen Fälle zugelassen, in denen das Bedürfnis für unvorhergesehene 
Ausgaben erst nach dem Abschluß des Etats — sei es auch erst im Laufe 
des Etatsjahres selbst — dringend und plötzlich hervortritt. Dann werden 
sogen. Nachtrags= oder Ergänzungsetats aufgestellt, eine Ausnahme von dem 
Wortlaut des Art. 69 — aber nicht von seinem Sinne — die einem un- 
abweisbaren Bedürfnis der Praxis entspricht. Namentlich in neuerer Zeit 
bringt fast jedes Jahr einen oder mehrere derartige Ergänzungsetats. 
VI. Das Etats-Notgesetz. 
Die Praxis hat ferner nach einer anderen Richtung eine Ausnahme 
von dem Wortlaut des Art. 69 zugelassen. Wiederholt ist die rechtzeitige 
Feststellung des Etats nicht gelungen. Man hat sich dann in der Weise 
geholfen, daß der Etat des abgelaufenen Jahres auf einen oder zwei Monate 
erstrect wurde, und zwar vorbehaltlich der Rückwirkung des neuen Etats, 
d. h. die Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Monate, für die der ver- 
flossene Etat erstreckt ist, werden auf das neue Etatsjahr angerechnet. Auch 
kann der Schatzanweisungskredit durch das Notgesetz in Anspruch genommen 
werden, wenn die Reichshauptkasse unaufschiebbaren Bedarf nach bereiten 
Mitteln hat; vgl. die Begründung zu den Notgesetzen von 1904 und 1907 
Anl. der 11. Leg.-Per. Bd. 3 S. 1882 Nr. 314 und 12. Leg.-Per. Sess. 1 Bd. 2 
S. 829 Nr. 194. Es werden also für die laufenden Ausgaben ein bez. 
mehrere Zwölftel der laufenden Ausgaben des abgelaufenen Etatsjahres 
bewilligt. Dasselbe gilt für die einmaligen Ausgaben, jedoch nur soweit 
sie denselben Zwecken dienen wie die einmaligen Ausgaben des abgelaufenen 
Etatsjahres und mit Ausnahme derjenigen Ausgaben, für welche die Mittel 
im neuen Etatsjahre durch Anleihen zu beschaffen sein würden. 
Was die Einnahmen betrifft, so sind ein bez. zwei Zwölftel der Matri- 
kularbeiträge von den Einzelstaaten einzuzahlen; vgl. Laband IV S. 507 f. 
Ein solches Notgesetz enthält keinen Wirtschaftsanschlag; der Reichs- 
verwaltung werden nämlich tatsächlich nicht die Ausgaben bewilligt, die 
im verflossenen Etat verzeichnet find, sondern sie darf nicht mehr ausgeben, 
als ihr nachträglich in dem eigentlichen Etatsgesetz bewilligt wird. Die 
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