632 XII. Reichsfinanzen. Art. 69.
sowie unter Berufung auf den von der Budgetkommission des Reichstags ein-
genommenen Standpunkt in der Reichstagsfitzung v. 14. Febr. 1902 St. B.
4203 D aus, daß der Reichstag nicht in der Lage sei, selbständig durch einen
Beschluß Mehrausgaben in den Etat einzustellen, sondern daß der korrekte
Weg eine Resolution sei, durch welche die Verbündeten Regierungen ersucht
würden, bis zur 2. oder 3. Lesung einen entsprechenden Beschluß zu fassen
und dem Reichstag auf Grund dieses Beschlusses die Erhöhung vorzuschlagen.
Die Gegner dieser Ansicht im Reichstag stützten sich auf den Wortlaut des
Art. 69, z. B. der Abg. Lenzmann St. B. 4210 B, von anderer Seite wurde
anerkannt, daß die einseitige Erhöhung von Etatsforderungen durch den
Reichstag mindestens nicht üblich sei; vgl. die Ausführungen der Abg.
v. Waldow und Reitzenstein St. B. 42040D, Graf Oriola 4205 0, Gröber
4209 C, vgl. ferner die Reichstagssitzung v. 18. März 1907 Abg. Speck
St. B. 577, Abg. Beck 580, Frhr. v. Richthofen-Damsdorf 582. Den ab-
lehnenden Standpunkt der Verbündeten Regierungen brachte auch der Staats-
sekretär des Reichsschatzamts Sydow in der Reichstagssitzung v. 30. März
1908 St. B. 4424 A zum Ausdruck. Hierzu ist zu bemerken: der Begriff
der „Ausgabenbewilligung“ schließt es allerdings logisch aus, daß mehr
bewilligt als gefordert wird. Dies wäre keine „Bewilligung“ mehr. Aber
mangels eines positiven Verbots der Verfassung ist der Reichstag nicht
gehindert, wie zu jedem anderen Gesetzentwurf, so auch zum Entwurf des
Etatsgesetzes Anderungen in Vorschlag zu bringen. Sache der Verbündeten
Regierungen ist es dann, den Entwurf mit diesen Anderungen anzunehmen
oder abzulehnen. Zur Ablehnung würde kein Grund bestehen, denn die Aus-
gabebewilligung enthält nur eine Vollmacht für die Reichsverwaltung, die
Ausgabe zu leisten; sie kann von der Vollmacht Gebrauch machen oder nicht;
ebenso v. Jagemann S. 201 und der Staatssekretär des Reichsschatzamts
Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung v. 18. März 1907 St.B 579 A.
Dies steht im Zusammenhange mit der zu ll erörterten Tatsache, daß der
Etat dritten Personen keine Rechte gibt. Auch dem Reichstag gegenüber
ist die Reichsverwaltung nicht staatsrechtlich verpflichtet, die bewilligten
Summen zu verausgaben; Ersparnisse zu machen ist sie stets berechtigt; val.
Laband IV S. 501, anderer Ansicht Zorn I S. 449, Hänel Studien II
S. 310 ff.
IX. Die Einnahmen des Reichs.
Ein „Einnahmebewilligungsrecht“ kennt die Reichsverfassung nicht.
Für die eigenen Einnahmen des Reichs ist durch pofitive Vorschriften der
Reichsgesetzgebung, z. B. für die Zölle und indirekten Steuern durch Art. 38
R. V., für die Einnahmen aus dem Betrieb der Post und Telegraphie durch
Art. 49 R.V vorgeschrieben, daß sie in die Reichskasse fließen; ebenso Arndt
S. 331, 400. Insofern erübrigt sich also zweifellos eine besondere Be-
willigung der Einnahmen; dies hat im konst. Reichstage (Sitzung v. 9. April
1867 St. B. 648) namentlich der Abg. Friedenthal zum Ausdruck gebracht;
er führte aus, daß die Feststellung des Etats abgesehen davon, daß dadurch
die Verwaltung der Kontrolle des Reichstags unterworfen wird, nur den
Zweck hat, Ausgaben zu bewilligen und für die bewilligten Ausgaben eine
Reihe von Einnahmen anzuweisen, daß aber die Anweisung der Einnahmen
kein Akt von selbständiger konstitutioneller Bedeutung ist; insbesondere find
weder die Untertanen des Reichs berechtigt, mangels Zustandekommen des