Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 69. 635 
darstellt. Für die Vertragsgegner des Reichs kommt es nur darauf an, ob 
das Reich bei der Übernahme der Verpflichtung durch die zuständige Behörde 
vertreten war. Der Inhalt des Etats ist für Privatpersonen überhaupt 
ohne Bedeutung, weil er nur die Beziehungen zwischen Reichsverwaltung 
einerseits und Bundesrat und Reichstag andererseits regelt; vgl. II S. 623, 
Laband lII S. 176, Arndt Kommentar S. 368. 
Wenn nicht die ÜUbertragbarkeit zwischen zwei Etatstiteln durch den 
Etat besonders gestattet ist, so ist es ohne Einfluß, daß der Etatsüberschreitung 
bei dem einen Titel bei einem anderen mit verwandtem Zweck eine Ersparnis 
entspricht. Dies entbindet die Reichsverwaltung nicht von der Notwendigkeit, 
für die Etatsüberschreitung die nachträgliche Genehmigung einzuholen. Das- 
selbe gilt in Ansehung der nicht von einem Jahre zum anderen übertragbaren 
Fonds für den Fall, daß auf ein Jahr mit Ersparnissen ein solches mit 
berschreitung folgt oder umgekehrt; vgl. Laband IV S. 498 ff. und Thrän 
in Hirth's Annalen 1903 S. 81f. Eine Berechtigung zu außeretatsmäßigen 
Ausgaben wird von der Reichsverwaltung nur in Anspruch genommen, wenn 
die Ausgabe unvorhergesehen und unaufschiebbar ist und nicht einen so hohen 
Betrag erreicht, daß die Einberufung des Reichstags ad hoc angemessen 
wäre; vgl. die Erklärung des Vertreters des Reichsschatzamts in der Reichs- 
tagssitzung v. 30. Nov. 1900 St.B. 268. 
Für Preußen ist durch Art. 104 der Verf. Urk. vorgeschrieben, daß zu 
Etatsüberschreitungen die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich 
ist; die außeretatsmäßigen Ausgaben sind hier nur deshalb nicht besonders 
genannt, weil der Begriff der letzteren als eine Abart der Etatsüberschreitungen 
sich erst später entwickelt hat; vgl. § 19 des preuß. Ges. betr. die Einrichtung 
und die Befugnisse der Ober-Rechnungskammer v. 27. März 1872 Ges.S. 
S. 278. Im Reiche besteht ohne eine entsprechende Verfassungsbestimmung 
vermöge des Konnexes mit dem preußischen Finanzrecht, der sich in der 
Praxis auf Grund der bestehenden Behördenorganisation und des durch fie 
geschaffenen Zusammenhangs zwischen der Rechtsentwicklung im Reich und 
in Preußen gebildet hat, die ständige Gewohnheit, daß Etatsüberschreitungen 
und außeretatsmäßige Ausgaben, wenn sie nachträglich begründet werden, 
vom Bundesrat und Reichstag genehmigt werden, auch ohne daß förmlich 
um Indemnität nachgesucht wird. Indemnität bedeutet in diesem Zusammen- 
hange, daß die Reichsverwaltung durch die nachträgliche Genehmigung der 
gesetzgebenden Körperschaften von der Verantwortung für im Etat nicht vor- 
gesehene Ausgaben entlastet wird. Der Begriff hat keine besondere juristische, 
sondern nur eine politische Bedeutung. Juristisch bedeutet er nicht mehr 
als die formlose Genehmigung, die bei dem Bundesrat und Reichstag für 
jede Etatsüberschreitung und außeretatsmäßige Ausgabe nachgesucht wird. 
Mit dem förmlichen Antrag auf Indemnität wird nur dem Umstand Rechnung 
getragen, daß die Angelegenheit politisch von relativ größerer Bedeutung 
ist, und sie wird dadurch äußerlich von den im laufenden Geschäftsgang 
unvermeidlichen Etatsüberschreitungen abgehoben. In dem Antrag auf In- 
demnität liegt nicht etwa das Bekenntnis eines subjektiven Verschuldens der 
Reichsverwaltung, sondern nur das Anerkenntnis, daß ein Staatsakt vor- 
genommen wurde, zu welchem nach der Verfassung der Reichsverwaltung 
ein formelles Recht nicht zustand. Die Indemnität bezieht sich also auf 
diejenigen Fälle, in denen die Reichsverwaltung sich entschlossen hat, mit
	        
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