XII. Reichsfinanzen. Art. 70. 639
c) Ihre Subsidiarität.
d) Ihre Ausschreibung durch den Reichskanzler.
IV. Die Uberweisungen.
V. Die Erstattung der ungedeckten Matrikularbeiträge an die Einzelstaaten.
VI. Die Verwendung der Überschüsse für die Deckung außerordentlicher Ausgaben.
I. Zur Vorgeschichte des Art. 70.
Die geltende Fassung des Art. 70 beruht auf dem Gesetz v. 14. Mai
1904 betr. anderungen im Finanzwesen des Reichs R.G. Bl. S. 169, der
sogen. Lex Stengel. Bis zu diesem Gesetz lautete Art. 70 wie folgt:
„Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst
die etwaigen Überschüsse der Vorjahre sowie die aus den Zöllen, den
gemeinsamen Verbrauchssteuern und aus dem Post= und Telegraphenwesen
fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit dieselben durch diese
Einnahmen nicht gedeckt werden, find sie, solange Reichssteuern nicht
eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe
ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen
Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden.“
Gemeinsam ist der früheren und der jetzt geltenden Bestimmung also,
daß zur Deckung der Ausgaben des Reichs in erster Reihe die eigenen
Einnahmen des Reichs und nur subsidiär die Matrikularbeiträge verwendet
werden; zu den eigenen Einnahmen wurden von jeher trotz der nach dieser
Richtung nicht so klaren früheren Fassung des Art. 70 die Einnahmen aus
sämtlichen Verwaltungszweigen gerechnet. Durch die neue Fassung des
Art. 70 kam im wesentlichen nur hinzu die in den beiden letzten Sätzen
enthaltene Bestimmung über die eventuelle Rückerstattung der durch Über-
weisungen nicht gedeckten Matrikularbeiträge und über die Verwendung von
Überschüssen im Interesse der Schuldentilgung, nämlich zur Deckung von
außerordentlichen Ausgaben, die sonst in der Regel mittels Anleihe gedeckt
werden. Die Bestimmung über die Überweisungen knüpft an die Finanz-
reform von 1879 an. Als durch die Einführung des neuen Zolltarifs
von 1879 dem Reiche erhebliche neue Einnahmen bevorstanden, entstand bei
der Mehrheit des Reichstags die Besorgnis, daß seine Machtstellung durch
die in Aussicht stehende finanzielle Selbständigkeit des Reichs beeinträchtigt
— vgl. Art. 69 IX S. 633f. — und der Weg zu unitarischen Bestrebungen
eröffnet werden könnte; auch wollte man die Einzelstaaten an den zu
erwartenden Mehrerträgen finanziell beteiligen: deshalb wurde im § 8
Abs. 1 des Zolltarifgesetzes v. 15. Juli 1879 R.G.Bl. S. 207 die sogen.
Franckenstein'sche Klausel aufgenommen, derzufolge derjenige Ertrag der
Zölle und der Tabaksteuer, welcher die Summe von 130 Millionen Mark
in einem Jahre überstieg, den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der
Bevölkerung, mit welcher sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen
werden, überwiesen wurde. Ferner wurde durch das Ges. v. 1. Juli 1881
R.G.Bl. S. 185 § 32 der ganze Ertrag der Reichsstempelabgaben und durch
Ges. v. 24. Juni 1887 § 39 Abs. 1 die Verbrauchsabgabe vom Branntwein
den Bundesstaaten überwiesen; durch das Branntweinsteuerges. v. 16. Juni
1895 Art. II § 1 R.G.Bl. S. 272 kam auch die Brennsteuer hinzu, weil sie
durch dieses Gesetz in einen Zuschlag zur Verbrauchsabgabe umgewandelt
wurde. Die Bestimmung des Art. 70 wurde bei diesem Verfahren formell