642 XII. Reichsfinanzen. Art. 70.
in Verbindung mit §2 des Ges. v. 3. Juni 1906 R. G. Bl. S. 621, der
sogen. großen Lex Stengel, auf die Branntweinsteuer und auf den Reichs-
stempel für Aktien, Kuxe, Renten= und Schuldverschreibungen, Kauf-- und
sonstige Anschaffungsgeschäfte und Lotterielose beschränkt, während von der
Erbschaftssteuer überhaupt nur zwei Drittel an das Reich abgeführt werden
sollten, sodaß ein Drittel der Roheinnahme den Einzelstaaten blieb; für eine
Übergangsperiode die sich bis zum Schluß des Rechnungsjahres 1910 er-
streckt, ist den Einzelstaaten, die bereits früher die Erbschaftssteuer eingeführt
hatten, ein gewisser Ertrag garantiert. Dieser Rechtszustand wurde durch
die Finanzreform von 1909 nochmals — jedoch nicht wesentlich — dadurch
geändert, daß die Uberweisungen auf die Branntweinsteuer eingeschränkt
wurden, während sie für die Stempelabgaben ganz in Wegfall kamen.
Die Branntweinsteuer ist durch die Finanzreform von 1909 derartig erhöht,
daß der Gesamtbetrag der Überweisungen kaum geringer werden wird, als
er bisher war. Außerdem ist seit der Finanzreform von 1909 der Anteil
des Reichs an der Erbschaftssteuer auf/ erhöht. Die Zölle und alle anderen
Abgaben, desgleichen die Einnahmen aus den eigenen Verwaltungszweigen
des Reichs und die Einnahmen aus der Militäwerwaltung bleiben seit
1904 dem Reich und dienen in erster Reihe zur Deckung der gemeinschaft-
lichen ordentlichen Ausgaben. Wenn sie nicht ausreichen, werden Matri-
kularbeiträge nach den durch Art. 70 bestimmten Grundsätzen erhoben. So-
weit die Matrikularbeiträge durch die Überweisungen nicht gedeckt find,
werden sie am Jahresschluß zurückgezahlt, falls sich bei Berechnung der
tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben des Reichs ein Uberschuß ergibt.
Nach § 3 des Ges. v. 3. Juni 1906 wurden die ungedeckten Matrikular-
beiträge, soweit sie höher waren, als der mit 40 F auf den Kopf der Be-
völkerung berechnete Betrag (Anknüpfung an die 24 Millionen der Leges
Lieber) zunächst nicht erhoben, sondern es wurde das tatsächliche Ergebnis
der Rechnung abgewartet. Ergab sich auch dann noch ein höherer Fehl-
betrag, als die 40 F auf den Kopf der Bevölkerung betragende Normal-
summe, so wurden sie den Einzelstaaten zwar nicht erlassen, aber die Er-
hebung wurde bis zum Juli des drittfolgenden Rechnungsjahres aufgeschoben,
sodaß den Einzelstaaten ein bestimmter Zeitraum offenstand, um sich mit
ihrer Finanzwirtschaft auf die Mehrausgabe einzurichten. Andererseits blieb
den Einzelstaaten der volle Mehrertrag der Uberweisungen, wenn sich ein
solcher ergab.
Die Wirkungen dieser Reformgesetzgebung von 1904 und 1906 waren
zu Gunsten der Einzelstaaten so belangreich, daß z. B. i. J. 1906, nachdem
das Rechnungsjahr 1905 namentlich an Zöllen gegenüber dem Etatssoll
bedeutende Mehreinnahmen ergeben hatte, es hierdurch in Verbindung mit
einigen anderen ÜUberschüssen möglich wurde, die Bundesstaaten nicht nur
von den ihnen für die Rechnungsjahre 1904 und 1905 einstweilen ge-
stundeten Matrikularbeiträgen in Gesamthöhe von 71½ Millionen Mark
endgültig zu entlasten, sondern es konnten ihnen sogar von den für 1905
bereits bezahlten, durch Uberweisungen nicht gedeckten Matrikularbeiträgen
gemäß 8 2 des Ges. v. 1904 ein Teilbetrag von 6 Millionen Mark zurück-
erstattet werden; vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs des Reichs-
schatzamts Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung v. 25. Febr. 1907
St. B. 10. Die Finanzreform von 1909 brachte keinen Fortschritt auf