XII. Reichsfinanzen. Art. 70. 643
diesem Wege. Die Verbündeten Regierungen schlugen zwar vor, daß der
Höchstetat der durch Überweisungen nicht gedeckien Matrikularbeiträge für
fünfjährige Perioden im voraus durch Festsetzung eines Maximums — zu-
nächst 80 für den Kopf, also etwa 50 Millionen — begrenzt werden
sollte, doch wurde dies vom Reichstag abgelehnt; gleichzeitig wurde § 3
des Ges. v. 3. Juni 1906 betr. die Stundung des 40 JF auf den Kopf
übersteigenden Betrages der ungedeckten Matrikularbeiträge aufgehoben. Die
Aufhebung dieser Bestimmung war von den Verbündeten Regierungen be-
antragt, aber nur in Konsequenz ihres Vorschlages, der bezweckte, die einen
gewissen Höchstbetrag übersteigenden Matrikularbeiträge überhaupt zu beseitigen.
Bei dieser Regelung war die Vorschrift des § 3 des Ges. v. 3. Juni 1906
gegenstandslos, ohne diese Regelung behielt sie ihren alten Wert und es
ging durch die Aufhebung des § 3 den Einzelstaaten der durch die Finanz-
reform von 1906 errungene Vorteil, daß fie für die Ubernahme des Mehr-
betrages der ungedeckten Matrikularbeiträge einen erheblichen Zeitraum ge-
wannen, wieder verloren. Im übrigen ist die Vorschrift des Art. 70 Abl. 2
unberührt geblieben, wonach der volle Mehrertrag der Uberweisungen, wenn
sich ein solcher ergibt, den Einzelstaaten bleibt, während ein überschuß, der
bei gedeckten Matrikularbeiträgen aus den reichseigenen Einnahmen der
Vorjahre hervorgeht, zur Deckung von außerordentlichen Ausgaben zu ver-
wenden ist, sofern nicht das Etatsgesetz etwas anderes bestimmt.
Einen unzweifelhaften finanzpolitischen Fortschritt ergab dagegen die
Finanzreform dadurch, daß sie — im Hinblick auf die erhebliche Ver-
mehrung der eigenen Einnahmen des Reichs an indirekten Steuern und
Zöllen — eine wirksame Schuldentilgung vorschrieb; val. Art. 73.
II. Die Einnahmen des Reichs.
Die gemeinschaftlichen Einnahmen des Reichs bestehen, abgesehen von
den Matrikularbeiträgen, überwiegend aus den Zöllen und indirekten Steuern,
die teils durch Art. 35, teils durch die spätere Reichsgesetzgebung dem Reiche
zugewiesen und bei Art. 35 einzeln aufgeführt sind. Daß das Wort
„Verbrauchssteuern“ in der neuen Fassung des Art. 70 durch „Steuern“
ersetzt ist, beruht darauf, daß nicht alle nachträglich eingeführten Steuern,
ungeachtet ihrer Eigenschaft als indirekte Steuern, als Verbrauchssteuern
bezeichnet werden können, z. B. die Stempelabgaben und die Erbschaftssteuer.
Daneben kommen die Einnahmen aus den wirtschaftlichen Betrieben des
Reichs, namentlich aus der Post und Telegraphie, den Reichs-Eisenbahnen,
dem Nord-Ostseekanal, der Reichsdruckerei, dem Anteil an dem Reingewinn
der Reichsbank, ferner die Gebühren, die für Akte der Reichsbehörden gezahlt
werden — Gerichtskosten bei dem Reichsgericht, Patentgebühren, Konsulats-
gebühren und dergl. — und einige kleinere Verwaltungseinnahmen in Betracht.
Von der Regel der Gemeinschaft dieser Einnahmen bestehen folgende
Ausnahmen:
1. Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen sind an der
Brausteuer, der Ubergangsabgabe für Bier und den anstelle dieser Steuern
von den Zollausschlüssen zu entrichtenden Aversa unbeteiligt;
2. Bayern und Württemberg sind ferner an den Überschüfsen der Post
und Telegraphie unbeteiligt;
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