XII. Reichsfinanzen. Art. 70. 649
gesehenen Erfordernis ungedeckter Matrikularbeiträge ergeben, möglichst be—
wahrt werden; vgl. die Erklärung des Staatssekretärs des Reichsschatzamts
Frhr. v. Stengel in der Reichstagsfitzung v. 12. Dez. 1905 St. B. 260. Da-
zu kam die Chance, daß das Reich in der Zwischenzeit bessere Einnahmen
erzielt, deren Mehrertrag zur Herabsetzung der ungedeckten Matrikularbeiträge
benutzt werden kann.
Auch die Stellung der Reichsfinanzverwaltung wurde dadurch gestärkt,
weil sie gegenüber den Ansprüchen der Ressorts unter Umständen geltend
machen konnte, daß ihr bereite Mittel nicht mehr zur Verfügung standen;
denn die Matrikularbeiträge, die früher wie jetzt (seit der Finanzreform von
1909) in einem gesetzlich nicht begrenzten Umfange jederzeit zu Gebote
stehen, stellten unter der Herrschaft dieser Maßregel nur noch in Höhe
einer bestimmten Summe bereite Mittel des Reichs dar. Sollte die
Finanzreform von 1909 die auf ihre Ergiebigkeit gesetzten Erwartungen
nicht erfüllen und das Reich wieder genötigt sein — im Hinblick auch auf
die gesetzlich vorgeschriebene Schuldentilgung — zu ungedeckten Matrikular-
beiträgen von erheblichem Umfang seine Zuflucht zu nehmen, so wird man
vielleicht auf diese aufgehobene Bestimmung des § 3 des Ges. v. 3. Juni
1906 wieder zurückkommen müssen.
c) Die Subsidiarität der Matrikularbeiträge.
Von der Subsidiarität der Matrikularbeiträge ist zu unterscheiden der
provisorische Charakter, den sie bis zum Reformgesetz von 1904 hatten.
Art. 70 in seiner früheren Fassung enthielt nämlich die auf Antrag des
Abg. Miquel im konst. Reichstag aufgenommene Klausel, daß die Matrikular-
beiträge erhoben werden sollten, „solange Reichssteuern nicht eingeführt
find“. Es sollte darin die Tendenz zum Ausdruck kommen, daß das Reich
sich möglichst bald durch ausreichende Steuererhebung von den Einzelstaaten
finanziell selbständig machen und daß dann die Matrikularbeiträge auf-
gehoben werden sollten. Wörtlich genommen hatte die Klausel schon damals
keinen Sinn, denn tatsächlich ist das Reich bereits bei seiner Begründung
mit den im Art. 35 bezeichneten Steuern ausgestattet worden, wenn auch
nicht in einem Maße, daß es möglich gewesen wäre von der Erhebung der
Matrikularbeiträge Abstand zu nehmen. In der neuen Fassung des Art. 70
ist die Klausel mit Recht gestrichen worden, denn da auch bei dieser Ge-
legenheit die Matrikularbeiträge nicht beseitigt wurden, hatte es keinen Zweck,
sie durch die Verfassung noch länger als provisorisch zu bezeichnen, während
sie tatsächlich bei dieser Finanzreform nicht als provisorische, sondern als
endgültige Einrichtung in Aussicht genommen wurden; vgl. die Erklärung
des Staatssekretärs des Reichsschatzamts Frhr. v. Stengel in der Reichstags-
sitzung v. 7. Mai 1904 St. B. 2760.
Der subsidiäre Charakter der Matrikularbeiträge ist bestehen geblieben,
d. h. es werden Matrikularbeiträge jetzt wie früher nur soweit erhoben, als
die eigenen Einnahmen des Reichs unzulänglich sind. Aber durch das Gesetz
von 1904 ist nach dieser Richtung noch zwischen gedeckten und ungedeckten
Matrikularbeiträgen abgestuft. Die Subfsidiarität der letzteren reicht in-
sofern weiter, als die Überschüsse aus dem abgelaufenen Etatsjahre dazu
verwendet werden müssen, den Einzelstaaten für die ungedeckten Matrikular-
beiträge Ersatz zu geben.