Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

654 XII. Reichsfinanzen. Art. 70. 
nahmen und Ausgaben es zur Einziehung der Matrikularbeiträge nicht hätte 
kommen können; vgl. die Erklärung des Staatssekretärs des Reichsschatzamts 
Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung v. 9. Dez. 1908 St. B. 19. Die 
gegenseitige Deckung zwischen Überschüssen und Mindereinnahmen kann sich 
selbstverständlich nur auf dasselbe Jahr beziehen und deshalb kann die Deckung 
nicht aus Überschüssen späterer Jahre genommen werden; dies wurde bei der 
Kommissionsberatung der Lex Stengel von einem Mitglied ohne Widerspruch 
festgestellt; vgl. Bericht v. 5. Mai 1904 Anl. der 11. Leg.-Per. Seff. 1 Bd. 3 
S. 2345 Nr. 408. Andererseits können die Einzelstaaten mit ihrem Anspruch 
auf Ersatz selbstverständlich nicht abgewiesen werden, weil fie in einem früheren 
Jahre einen Uberschuß erzielt haben. 
VI. Die BVerwendung der überschüsse für die Deckung 
außerordentlicher Ausgaben. 
Z Vor der Lex Stengel von 1904 wurden nach ständiger Praxis die 
überschüsse eines Etatsjahres in dem auf ihre Feststellung folgenden Etat, 
also in dem Etat des übernächsten Jahres als Einnahme eingestellt. Da- 
durch wurden indirekt die Bundesstaaten entlastet, da der Bedarf an neuen 
Einnahmen, also auch an Matrikularbeiträgen entsprechend geringer wurde. 
Hand in Hand ging damit die Praxis, daß die Matrikularbeiträge nicht 
nach dem jeweiligen Deckungsbedarf der ordentlichen Ausgaben, sondern in 
dem budgetmäßigen Höchstbetrage vom Reichskanzler ausgeschrieben wurden, 
ein Verfahren, durch das die Einzelstaaten nicht belastet wurden, weil sie 
zu erwarten hatten, daß diejenigen Beträge, die sie dem Reich über den 
tatsächlichen Bedarf gezahlt hatten, ihnen in dem übernächsten Jahre durch 
eine entsprechende Verminderung des Aufwandes an Matrikularbeiträgen 
wieder zugute kommen würden; vgl. die Erklärungen des Staatssekretärs 
des Reichsschatzamts Frhr. v. Thielmann und des bayrischen Bundesrats- 
bevollmächtigten Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung v. 21. März 1901 
St. B. 2109 sowie die Begründung der l##x Stengel, Anl. der 11. Leg.-Per. 
Sess. 1 Bd. 1 S. 44 Nr. 14 III. Eine Anderung dieser Praxis führte der 
2. Abs. des Art. 70 herbei, weil danach die Überschüsse in der Regel nicht 
mehr für den ordentlichen, sondern für den außerordentlichen Etat verausgabt 
werden. Deshalb wird durch die Überschüsse nicht mehr eine Entlastung 
der Einzelstaaten, sondern der Reichsschuld herbeigeführt, da der außer- 
ordentliche Etat regelmäßig durch Anleihen gedeckt wird. Die Einzelstaaten 
find dadurch abgefunden, daß ihnen für die Erstattung ungedeckter Matrikular- 
beiträge die Überschüsse desselben Jahres, dem die ungedeckten Matrikular- 
beiträge angehören, in erster Reihe haften. Damit ist für die Ansprüche 
der Einzelstaaten die Maximalgrenze gezogen. Die überschüsse sollen nicht 
mehr dazu dienen, daß die Einzelstaaten in guten Wirtschaftsjahren mehr 
vom Reiche erhalten, als sie eingezahlt haben. 
Es ist zu beachten, daß in der früheren Fassung des Art. 70 die Be- 
stimmung über die Ausschreibung der Matrikularbeiträge lautete „bis zur 
Höhe des budgetmäßigen Betrages“, jetzt dagegen „in Höhe des budget- 
mäßigen Betrages“. Früher war es also dem Reichskanzler überlassen, den 
budgetmäßigen Betrag der Matrikularbeiträge nur in Raten, je nach Bedarf, 
einzuziehen, eine Befugnis, von der allerdings — wohl mit Rückficht auf
	        
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