658 XII. Reichsfinanzen. Art. 72.
großen Verwaltungskörpers, wie ihn das Reich darstellt, erfordert. Die
unentbehrliche Vorarbeit wird deshalb durch den Rechnungshof für das
Deutsche Reich geliefert. Die grundlegende Bestimmung hierüber enthält
das Ges. v. 4. Juli 1868 betr. die Kontrolle des Bundeshaushalts für die
Jahre 1867 bis 1869 B. G. Bl. S. 433; hierdurch ist der preußischen Ober-
rechnungskammer die Rechnungskontrolle auch für das Reich übertragen.
Das Gesetz sollte zunächst nur ein Provisorium sein; eine definitive Regelung
hat aber bisher nicht stattgefunden, weil über die dem Reichstag wiederholt
vorgelegten Entwürfe eines „Reichs-Komptabilitätsgesetzes“ eine Einigung
nicht zu erzielen war. Deshalb wird das Provisorium Jahr um Jahr
durch ein sogen. Kontrollgesetz verlängert. Das preußische Gesetz betr. die
Einrichtungen und Befugnisse der Oberrechnungskammer v. 27. März 1872
(Ges. S. S. 278) ist durch Reichsges. v. 11. Febr. 1875 R.G.Bl. S. 61 auf
die Kontrolle des Reichshaushalts ausgedehnt und diese Vorschrift ist in
allen späteren Kontrollgesetzen wiederholt worden. Die Oberrechnungs-
kammer ist für die Ausführung der Reichs-Kontrolle entsprechend verstärkt
worden und bildet unter der Bezeichnung „Rechnungshof für das Deutsche
Reich“ eine besondere Abteilung dieser Behörde, die mit der preußischen
Abteilung nur den Präsidenten gemeinsam hat. Der Präsident wird vom
König von Preußen auf Vorschlag des preußischen Staatsministeriums unter
Gegenzeichnung des Minister-Präsidenten ernannt. Die anderen Mitglieder
des Rechnungshofes werden vom Bundesrat gewählt und vom Kaiser an-
gestellt und haben deshalb die Eigenschaft unmittelbarer Reichsbeamten; sie
werden aus der Reichskasse besoldet und ihre Gehälter werden in den Reichs-
haushaltsetat ausgenommen. Die Sitzungen finden von denen der preußischen
Abteilung getrennt statt und der innere Geschäftsbetrieb ist für beide Ab-
teilungen besonders geordnet, für den Rechnungshof nach § 5 des Ges. v.
4. Juli 1868 durch eine vom Reichskanzler im Einvernehmen mit dem
Bundesrat erlassene Instruktion v. 5. März 1875 R.C.Bl. S. 157. Die ma-
teriellen Grundsätze für die Rechnungskontrolle sind hauptsächlich in der
noch geltenden Instruktion für die Ober-Rechnungskammer v. 18. Dez. 1824
enthalten (abgedruckt in den Drucksachen des preuß. Abgeordnetenhauses
1871/72 S. 868); vgl. Schwarz und Strutz a. a. O. II, 4 S. 1510 8 310.
Die Rechte und Pflichten nach außen sind für beide Abteilungen über-
einstimmend durch das preuß. Ges. v. 27. März 1872 geregelt. Nach § 1 dieses
Gesetzes ist die Ober-Rechnungskammer eine dem König unmittelbar unter-
geordnete, den Ministern gegenüber selbständige Behörde; für den Rechnungs-
hof bedeutet dies nach § 3 des Kontrollges. v. 4. Juli 1868, daß er dem
Kaiser unmittelbar unterstellt und dem Reichskanzler gegenüber selbständig
ist. Die Mitglieder genießen den Schutz der richterlichen Beamten. Der
Rechnungshof hat einen eigenen Direktor, der dem Präsidenten dienstlich
unterstellt ist. Für wichtigere Fälle ist die kollegiale Beratung und Be-
schlußfassung vorgeschrieben, an der in Reichsangelegenheiten natürlich nur
der den Rechnungshof bildende Teil der Ober-Rechnungskammer beteiligt ist.
b) Der Gegenstand der Rechnungslegung.
Die Reichsverfassung bestimmt nur, daß über die „Verwendung aller
Einnahmen“ Rechnung zu legen ist. Dies ist eine brachylogische Bezeichnung
für den ganzen Reichshaushaltsetat. Denn die Verwendung aller Einnahmen