Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 73. 665 
Das Ges. betr. Anderungen im Finanzwesen v. 15. Juli 1909 83 
R.G.Bl. S. 744 bestimmt über die Tilgung der Reichsanleihen unter Auf- 
hebung der entsprechenden Bestimmung des § 4 des Ges. v. 3. Juni 1906 
R.G.Bl. S. 621 für den Zeitraum v. 1. April 1911 ab, daß von diesem 
Zeitpunkt an die nach dem 30. Sept. 1910 begebenen Anleihen, soweit sie 
für werbende Zwecke ausgenommen find, mit mindestens 1,9%, die für 
andere Zwecke aufgenommenen Anleihen mit mindestens 3% zu tilgen find. 
Für die vor diesem Zeitpunkt ausgenommenen Anleihen enthalten 88 2, 8 
des Ges. Übergangsvorschristen. Bei der Berechnung dieses Prozentsatzes 
ist stets von der ursprünglichen Schuldsumme auszugehen. Als Anleihen 
zu werbenden Zwecken sind in den Motiven (Drucks. d. 12. Leg.-Per. Nr. 992 
S. 12, 80) genannt: die außerordentlichen Ausgaben der Post= und Tele- 
graphenverwaltung, der Reichsdruckerei und der Reichs-Eisenbahnverwaltung. 
Diese Schulden sollen in 30, alle anderen in 22 Jahren getilgt werden. 
III. Der formale Weg zur Herbeiführung einer Auleihe. 
Die Reichsgesetze, auf denen die Anleihen des Reichs beruhen, lauten 
dahin, daß der Reichskanzler ermächtigt wird, zur Bestreitung einmaliger 
außerordentlicher Ausgaben eine bestimmte Summe im Wege des Kredits 
flüssig zu machen. Die Reichsgesetze enthalten also eine Vollmacht für den 
Reichskanzler, die durch die Bezeichnung der Summe begrenzt ist; diese 
Summe ist als Maximalgrenze aufzufassen; ferner besteht, wenn die Er- 
mächtigung in das Etatsgesetz aufsgenommen wird, wie meistens der Fall 
ist, eine zeitliche Beschränkung der Vollmacht auf die Dauer des Etats- 
jahres, die übrigens auch durch die Natur der Sache, d. h. den Deckungs- 
bedarf des Extraordinariums gegeben ist. Diese Begrenzung der Vollmacht 
hat den finanziellen Nachteil für den Reichsfiskus, daß die Börse genau 
den Betrag und bis auf den Spielraum weniger Monate auch den Zeit- 
punkt kennt, in welchem sich die Reichsverwaltung mit der bestimmten 
Summe an den Geldmarkt wenden muß, und diese Zwangslage kann den 
Emissionskurs der Anleihen zum Schaden des Reichs beeinflussen; vgl. die 
Ausführungen des Staatssekretärs des Reichsschatzamts Frhr. v. Stengel in 
der Reichstagsfitzung v. 7. März 1907 St.B. 298 und des Unterstaatssekretärs 
im Reichsschatzamt Twele in der Reichstagssitzung v. 15. Jan. 1908 St.B. 
2436; vgl. auch die Reichsschuldenordnung v. 19. März 1900 R. G. Bl. 
S. 129 und die Novelle dazu v. 22. Febr. 1904 R.G. Bl. S. 66. 
IV. Die Haftung des Reichs. 
Für alle Reichsanleihen haftet das ganze Reich, auch wenn an dem 
Verwendungszweck der Anleihe einzelne Staaten nicht beteiligt sind; dies 
ergibt sich daraus, daß nur das Reich in seiner Totalität juristische Persön- 
lichkeit besitzt und Träger einer Anleihe sein kann; dies ist schon bei der 
Verhandlung über die nicht zu Lasten der Süddeutschen Staaten auf- 
genommenen Kriegsanleihe von 1870 anerkannt worden; vgl. die Aus- 
führungen des Präfidenten Delbrück und des Abg. Miquel in der Reichs- 
tagssitzung v. 7. Dez. 1870 St. B. S. 132 f. Bayern und Württemberg find 
an den für Zwecke der Post und Telegraphie, Bayern außerdem an den 
für militärische Zwecke ausgenommenen Anleihen nicht beteiligt. In dem 
inneren Rechtsverhältnis zum Reich find sie deshalb natürlich von der
	        
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