678 XIV. Allgemeine Bestimmungen. Art. 78.
haben sollte, so bleibt als denkbarer Fall für eine auf Art. 77 zu stützende
Beschwerde nur der Fall übrig, daß der Gang der Rechtspflege in unzu—
lässiger Weise verzögert und die Beschwerde bei den Justizauffichtsbehörden,
die in solchem Falle zum Einschreiten ebenso berechtigt als verpflichtet find,
nicht zum Ziele führen sollte. Soweit dabei Vorschriften der Reichsgesetz-
gebung in Betracht kommen, wie es meistens der Fall sein wird, da das
gerichtliche Verfahren, streitige wie sogen. freiwillige Gerichtsbarkeit, im
Wege der Reichsgesetzgebung geregelt ist, würde es nach Art. 4 Ziff. 13
und Art. 17 R.V. an sich Sache des Reichskanzlers sein für Abhilfe zu
sorgen. Aber Art. 77 enthält für die Zuständigkeit der Reichsorgane eine
Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 17 und begründet also für
diesen speziellen Fall die Zuständigkeit des Bundesrats, offenbar in An-
lehnung an die allgemeine Tendenz, das gerichtliche Verfahren so sehr als
möglich der Bearbeitung von Kollegien anzuvertrauen. Über die Vorfrage,
ob die Beschwerde als „erwiesen"“ im Sinne des Art. 77 anzusehen ist,
kann nur der Bundesrat selbst entscheiden. Um die gerichtliche Hülfe zu
bewirken, hat sich der Bundesrat gegebenenfalls an den Reichskanzler und
dieser an die Landesregierung zu wenden.
Auf das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit bezieht sich Art. 77
nicht; ebenso Arndt S. 114, v. Seydel S. 410. Dies ist aus dem Worte
„Justiz“-Verweigerung zu schließen. Auch z. Z. der Emanation der Ver-
fassung verstand man unter Justiz nur den Wirkungskreis der eigentlichen
Justizbehörden, diesen allerdings in vollem Umfange, also mit Einschluß
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft unter-
liegt zwar der Ausfsicht der Justizverwaltung in vollem Umfange, aber der-
jenige Fall, der als Justizverweigerung in erster Reihe in Frage kommen
könnte, die Weigerung der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung gegen-
über der an der Verfolgung interessierten, durch das zu verfolgende Delikt
verletzten Person ist durch § 170 St.P.O. gedeckt, weil danach im Beschwerde-
falle über die Erhebung der Anklage in letzter Instanz das Oberlandes-
gericht zu entscheiden hat und diese Entscheidung jeder Anfechtung im Justiz-
auffichtswege entzogen ist. Nur wegen unzulässiger Verzögerung des
Ermittelungsverfahrens könnte, nachdem der Instanzenzug bis zum Justiz-
minister erschöpft ist, noch der Bundesrat auf Grund des Art. 77 angerufen
werden.
XIV. AKllgemeine Zestimmungen.
Artikel 78.
Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung.
Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen
sich haben.
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte
Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit fest-
gestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates
abgeändert werden.